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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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übereinanderlagen.
    Neben dem Fenster im Salon stand ein Schaukelstuhl mit brokatbezogenem Fußschemel im französischen Stil, den der Lehrer zum Lesen benutzte. Auf dem Schreibtisch in der Ecke befand sich ein Schreibset aus Silber und Elfenbein. Alles an diesem Ort schien geheimnisvoll, rätselhaft, magisch. Die wenigen Male, die Guiomar dort gewesen war, hatte sie das Gefühl gehabt, dass Monsieur Verdoux nicht froh war über ihre Anwesenheit. In diesen Momenten war seine sonstige Wohlerzogenheit ins Wanken geraten. Hier hatte er sich in einen Unbekannten verwandelt, der nervös war und verletzlich wirkte.
    »Nicht anfassen, Guiomar,
chérie
 … du machst sie kaputt. Die sind aus China – weißt du, wo China liegt, mein Goldstück?«, fragte er, wenn sie einer Porzellanfigur zu nahe kam. »Gehen wir, ich muss mal hier rauskommen, frische Luft schnappen.«
    Er hatte stets großen Wert auf seine Privatsphäre gelegt, und so konnte Guiomar sich nicht erinnern, jemals einen Fuß in sein Schlafzimmer gesetzt zu haben. Jetzt wunderte sie sich, warum sie sich nie gefragt hatte, wie wohl der Raum aussah, in dem er sich ausruhte und schlief.
    Als Guiomar das Zimmer betrat, lag Monsieur Verdoux auf dem Bett, herausgeputzt wie ein französischer Dauphin bei der Krönungsfeier. Er trug einen lichtblauen Morgenmantel aus Brokatseide, aus dem das Spitzenjabot eines leinenen Nachthemds hervorlugte. Auf dem Kopf trug er eine Art marineblaues, mit einer goldenen Tresse besetztes Barett. Sein schwülstiger Kleidungsstil passte so gar nicht zu der Umgebung, in der er sich befand. Sein Schlafzimmer war ein karger, beinahe klösterlicher Raum, in dem der Duft des sündhaft teuren Parfüms hing, das er seit Jahrzehnten bei der
Officina Profumo-Farmaceutica di Santa Maria Novella
in Florenz bestellte.
    »Schon Katharina de Medici hat es benutzt, eine kostspielige Extravaganz. Es gibt einem das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein«, behauptete er, wenn man ihn danach fragte, um dann leichthin zu lachen, wie er es immer tat.
    Doch nun hatte dieses erlesene Duftwasser einer französischen Königin seinen ganzen Reiz verloren, mischte es sich doch mit dem Geruch von abgestandenem Schweiß, Medikamenten und nicht geleertem Nachttopf.
    Auf einem schlichten Sekretär stand eine Kerze mit dem Abbild des heiligen Franz Xaver und auf dem Nachttisch ein silberner Kerzenleuchter, eine zerlesene Bibel und ein Spiegelkreuz mit vergoldetem Rahmen. Diese religiösen Gegenstände an seinem privaten Rückzugsort passten so gar nicht zu den Ansichten, die er sein Leben lang vertreten hatte. Er, der immer behauptet hatte, die Bibel sei ein allegorisches Lügengebilde und man brauche all diese Symbole nicht, um Gott nahe zu sein.
    »Vedú!« Guiomar eilte zu ihm und kniete sich neben das Bett. Ihre Stimme bebte, als sie ihn bei seinem Kosenamen rief, den sie als Kind für ihn benutzt hatte.
    Auf Monsieur Verdoux’ Gesicht waren noch die Spuren der Prügel zu erkennen, die er von dem Pöbel bezogen hatte. Die Schwellung war zurückgegangen, doch die Augenpartie war nach wie vor blau verfärbt. Außerdem hatte er eine Platzwunde an der Augenbraue. Er sah sie an.
    »
Chérie
!« Er strich ihr abwesend übers Haar. »Da siehst du mal, wie man hier in die Mangel genommen wird.«
    Guiomar musste lächeln. Verdoux war immer noch der Alte.
    »Wie geht es dir? Was haben die Ärzte gesagt?«
    »Was sollen sie schon sagen?«, murrte der Franzose mit schwacher Stimme, um der Sache die Bedeutung zu nehmen. »Nichts, was sich zu erzählen lohnte,
chérie
. Erzähl mir lieber von dir. Wie war’s in Carmona?«
    Guiomar berichtete ihm von der Rettung des Landguts, von Candelas Hilfe und dem jäh gestörten Wiedersehen mit ihrem Liebsten. Während sie erzählte, dachte sie, dass er neben Candela die einzige Person war, die ihr aus ihrer Kindheit geblieben war. Der Gedanke machte ihr das Herz schwer, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu weinen – um ihre verlorene Kindheit, um ihre zu früh gestorbenen Eltern. Und um das, was sie im
Buch ohne Namen
gelesen hatte. Dann erzählte sie ihm von Abels schriftlichem Vermächtnis und von der Verantwortung, die damit auf ihren Schultern lastete.
    »Ich will nichts mit der ganzen Sache zu tun haben!«, sagte sie schließlich. »Ich will ein normales Leben führen, Ventura heiraten, ihm Kinder schenken …«
    »Red keinen Unsinn! Es ist nicht deine Bestimmung, eine ganz normale Frau zu sein. Frauen haben keine

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