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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Begabung zum Schach, dir aber kann kein Mann das Wasser reichen. Weder beim Schach noch in anderen Dingen,
chérie
. Und das weißt du auch.«
    Monsieur Verdoux verstummte. Ein kurzes Lächeln huschte über Guiomars Gesicht. Dann blickte sie ihn wieder ernst an. Doch als ihr Lehrer die nächsten Sätze sagte, erschrak sie.
    »Es gibt nichts Wichtigeres, als seiner Bestimmung zu folgen. Und deine ist es, dich auf diese Schachpartie vorzubereiten und keine Zeit mit einem dahergelaufenen Banditen zu vertun. Ich weiß, dass du das jetzt nicht verstehst, aber irgendwann wirst du mir dankbar sein.«
    Guiomar sah ihn verständnislos an.
    »Irgendjemand musste diesen Verbrecher aus deinem Leben entfernen, bevor du es vergeudest. Ihr habt es mir leicht gemacht. Eine schlichte Anzeige hat genügt«, murmelte der Franzose.
    Sie wich zurück, als hätte man sie geohrfeigt. Verdoux wand sich unbehaglich in den Laken, ohne sie anzusehen. Sein Blick war auf einen Punkt an der Decke gerichtet.
    »Ich habe es dir schon so oft gesagt: Der Verstand muss es sein, der über die Gefühle bestimmt, nicht umgekehrt. Man muss lernen, sie zu beherrschen, zu kontrollieren. Die Liebe bringt nur Probleme und Unruhe. Hast du es nicht in den Romanen gelesen, die ich dir besorgt habe? Die Liebe endet immer im Leid – denk nur an die arme Madame de Tourvel aus ›Gefährliche Liebschaften‹! Und in deinem Fall ist sie außerdem hinderlich. Wenn du an diesen Räuberhauptmann denkst, kannst du dich nicht auf die Schachpartie konzentrieren. Die Liebe ist eine gute Sache für schlichte Gemüter. Intelligente Menschen wie wir hingegen müssen uns auf einer anderen Werteskala bewegen.«
    »Du weißt ja nicht, was du da sagst!«, entfuhr es Guiomar. »Du bist verrückt!«
    »Verrückt?« Das Gesicht des Franzosen verzog sich zu einer Grimasse, die Kummer und Staunen ausdrückte. »Ich habe alles für dich getan … für uns … zu unserem Besten. Und jetzt nennst du mich verrückt! Ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht leicht ist, dem Zauber der Liebe zu widerstehen. Vor allem in deinem Alter. Du musst dich dessen nicht schämen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heißt es nicht so? Dein Vater war genauso. Beinahe hätte er meine Pläne durchkreuzt, als er sich in dieses Mädchen verliebte. Wie hieß sie noch gleich?«, fragte er gleichgültig und schnipste mit den Fingern. »Cristóbal Zapatas Tochter … Wie war ihr Name?«
    Guiomar kannte die Geschichte, die bei ihr zu Hause so oft erzählt worden war und die Abel auch in seinem
Buch ohne Namen
schilderte. Dieser mysteriöse, ungelöste Mord, mit dem man immer noch die Kinder in der Stadt erschreckte.
    »Julita?«
    »Julita.« Er seufzte, als hätte ihm der Name auf der Zunge gelegen. »Ein nichtssagendes, unbedeutendes Wesen ohne jede besondere Begabung. Und doch hätte sie beinahe meine Arbeit von Jahren zunichte gemacht. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu beseitigen.«
    »Zu beseitigen?«, entfuhr es Guiomar. »Was willst du damit sagen?«
    Monsieur Verdoux begann zu erzählen. Seine Stimme war matt und schien gelegentlich zu versagen, doch dann riss er sich zusammen und berichtete Guiomar von dem, was er als die »große Mission seines Lebens« bezeichnete.
    ***
    MONSIEUR VERDOUX WURDE in dem französischen Dorf Morimond geboren, das zwischen der Champagne und dem Herzogtum Lothringen lag. In diesem Ort gab es, in den Weinbergen versteckt, eine Zisterzienserabtei. Durch eine Bulle hatte der Papst den Abt von Morimond zum geistlichen Oberhaupt des Calatrava-Ordens bestimmt. Der Ritterorden von Calatrava war im zwölften Jahrhundert mit Hilfe der Zisterzienser gegründet worden und diente ursprünglich der Reconquista – der Wiedereroberung der von den Mauren besetzen Gebiete der Iberischen Halbinsel.
    Monsieur Verdoux stammte aus einer armen Familie. Sein Vater und seine älteren Brüder arbeiteten in den Weinbergen und traten die Trauben, aus denen die Abtei jedes Jahr einige Flaschen jenes farblosen, prickelnden Getränks herstellte, das sich bereits einen Ruf am englischen Hof erworben hatte. Einige nannten es »Teufelswein« wegen der enthemmenden Wirkung, die die Bläschen hatten.
    Alles schien darauf hinauszulaufen, dass auch Monsieur Verdoux Bauer werden würde. Und so wäre es sicherlich auch gekommen, wäre nicht schon früh aufgefallen, dass er ein aufmerksamer Beobachter war. Er war äußerst klug und wissensdurstig. Oft trieb er sich in

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