Der Turm der Könige
einen Brief aufsetzen und darin um die Hand einer Dame anhalten. Ich möchte, dass Sie Küsse beschreiben, die so vollkommen sind, dass sie zu Tränen rühren, dass Sie von einer Frau erzählen, die sich einer vom Schicksal bestimmten Liebe hingibt. Ihr Name ist Julia, ein Name, der, langsam ausgesprochen, wie ein sanftes Murmeln klingt, wie das Rauschen der Meereswellen, und dass mich das Meer vielleicht deshalb zu ihr geführt hat. Ich will Poesie, ich will, dass aus jeder Zeile Liebe spricht, ewiges Glück, Schönheit … Ich will den eleganten Schwung Ihrer Kalligraphie. Ich weiß nur mit metallenen Lettern zu schreiben, die stets gleich sind, kalt und regelmäßig … Ich brauche ein Juwel, das auf dem Pergament ersteht. Können Sie das?«
»Natürlich«, versicherte der Junge.
»Dann stellen Sie mit diesem Auftrag Ihr Talent unter Beweis. Wenn Sie Ihre Sache gut machen, werde ich mit dem Druckermeister sprechen, ob er Ihnen eine Arbeit anbieten kann. Am Ende des Tages komme ich zu den Kolonnaden gegenüber der Kathedrale, um Sie zu suchen.«
***
SAN JUAN DE ACRE , die Komturei des Johanniterordens, war völlig unabhängig von der Rechtsprechung des Erzbistums Sevilla. Sie war eine kleine Stadt in der Stadt. Von einer Bogenmauer umgeben, beherbergte sie in ihrem Inneren den Konvent des heiligen Jakobus vom Schwerte und die Klöster Santa Clara und San Clemente, vor allem aber das Kloster San Juan de Acre sowie das Prioratsgebäude, das den Mönchen als Unterkunft, Verwaltungsgebäude, Gericht und Gefängnis diente. Der Glockengiebel erhob sich stolz über dem mit schwarzen Eisennägeln beschlagenen Eingangsportal. León erinnerte sich, wie er in der ersten Nacht dort Aufnahme gefunden hatte, als er salzverkrustet wie ein alter Seebär in Sevilla eingetroffen war. Über ein Jahr war das bereits her. Er seufzte. Die Mönche, die in dieser Gerichtsbarkeit lebten, waren seine Familie, Angehörige der Ordensgemeinschaft, die ihn aufgezogen hatte. Nur wenige wussten noch, wie die Ritter des Malteserordens in die Stadt gekommen waren, aber ihre Geschichte fiel in die Zeit der Eroberungen König Ferdinands III ., des Heiligen, der Schlachten, Kämpfe und Siege, die er zusammen mit seinen Männern und seinem Sohn Alfons ausgefochten hatte, der später unter dem Beinamen »der Weise« bekannt wurde.
Der fromme König hatte sich vorgenommen, die Iberische Halbinsel von der Herrschaft des Islams zu befreien. Dabei bat er die Ritterorden um Hilfe, zu denen der Santiagoorden, der Calatrava-Orden und der Johanniterorden zählten. Mit diesen christlichen Rittern durchmaß er die iberische Landschaft, vom Castillo de San Servando bis zum Ufer des Tajo. Auf ihrem Weg eroberten sie Dörfer, Städte und Herrschaftsgebiete, bis sie schließlich den Guadalquivir erreichten. Dort angelangt, kamen sie zu der Überzeugung, dass sie nicht eher abziehen konnten, bis ein christlicher König in Sevilla auf dem Thron saß.
Sie begannen ihren Angriff auf die Schwachstellen der städtischen Verteidigungsanlagen und stießen dabei auf ein Stadttor, das zu Ehren eines muslimischen Heiligen den Namen Wi-Alfat trug. Die Ritter fanden, dass dieser Umstand an Ketzerei grenze und dass es keine andere Lösung gebe, als es umzubenennen, selbst wenn sie dafür ihr Leben geben mussten. Sie galoppierten durch einen Hagel aus feindlichen Pfeilen und Steinen darauf zu, und als sie es erreicht hatten, machte einer von ihnen das Kreuzzeichen, erhob sein Schwert mit beiden Händen und schlug es gegen das Holz, wobei er laut verkündete, dass das Stadttor Wi-Alfat von nun an den Namen San Juan trage.
Nach der Eroberung erhielt das Stadtviertel den Namen San Juan de Acre. Der fromme König beschloss, einen Teil der eroberten Gebiete den Orden zu überlassen, die ihn auf seinen Kreuzzügen unterstützt hatten, und so wurden viele Gegenden der Provinz unter den Ordensrittern aufgeteilt. Aus dem Bereich rund um die Zisterzienserabtei San Clemente und die Puerta de San Juan entstand das Priorat San Juan de Acre.
Die weisesten, klügsten, gelehrtesten Männer der westlichen Welt, die León kannte, lebten in dieser Komturei in Sevilla, vor allem aber die besten Kenner der Kunst des Schachspiels.
Er stieg die beiden Eingangsstufen hinauf, umfasste den Türklopfer und schlug zweimal an. Er wartete fünf Sekunden und klopfte dann erneut. Nichts. Er sah sich um. Zu seiner Rechten entdeckte er eine Glocke, an der ein Seil befestigt war. Er zog daran und hörte
Weitere Kostenlose Bücher