Der Turm der Könige
innen mehrere Schellen widerhallen. Er betätigte gerade erneut den Türklopfer, als er das Geräusch schlurfender Füße hörte, die sich langsam näherten, und dann das Quietschen des rostigen Türschlosses. Ein alter Mönch steckte seine Adlernase durch den Türspalt und sah ihn misstrauisch an.
»Was willst du um diese Uhrzeit hier?«, schleuderte er ihm zur Begrüßung mit rauer Stimme entgegen.
»Guten Tag, Bruder Lorenzo. Ich bin gekommen, um mit dem Prior zu sprechen«, antwortete León und stieß die Tür auf, um einzutreten.
»Ist dir jemand gefolgt?«, fragte der Mönch und kniff ein Auge zu, machte aber keine Anstalten, zur Seite zu treten.
»Natürlich nicht! Lass mich ein, bevor ich gesehen werde.«
Der Alte machte einen ungeschickten Schritt zurück, um León einzulassen, wobei er unverständliche Worte vor sich hinbrummelte. Bevor er die Tür schloss, streckte er den Kopf nach draußen und blickte argwöhnisch die Straße entlang. León betrat den Vorraum und wartete, dass Bruder Lorenzo wieder abschloss.
»Es ist die Stunde der Terz«, schimpfte der Mönch, während er das schmiedeeiserne Gitter aufstieß, das in den Patio führte. »Du kommst immer so ungelegen.«
León wusste, dass es sich um eine der kleinen Horen handelte. Es war die Stunde, da eine Glocke die Brüder aufrief, ihre Arbeit zu unterbrechen und sich dort, wo sie sich gerade befanden, dem Gebet zu widmen, so wie er es auch bei den Muslimen während der Zeit seiner Gefangenschaft gesehen hatte.
»Ich muss dringend mit dem Ordenskapitel sprechen«, rechtfertigte er sich.
»Es muss wirklich sehr dringend sein, wenn du die grundlegenden Anstandsregeln und die Sicherheit des Hauses außer Acht lässt«, schimpfte Bruder Lorenzo. »Sie sind versammelt … du weißt ja, wo.«
Der Mönch wandte sich grußlos ab und ging in Richtung Küche davon, während er etwas über die Leichtsinnigkeit der Jugend murmelte, die sie noch alle ins Verderben stürzen werde. León grinste.
Er durchquerte den Patio, der als Kreuzgang diente, ging an Säulen entlang und unter den weißen Marmorbögen hindurch. Das muntere Plätschern eines Brunnens begleitete seine Schritte. Ein schwacher winterlicher Lichtstrahl fiel auf das Efeu, das über die Umfassungsmauer und die Blumentöpfe wucherte, die an den Mauern hingen. Er ließ die Bibliothek zur Rechten liegen und betrat einen dunklen Korridor, der nach geröstetem Brot und Buchsbaum roch und zum Kapitelsaal, oder, wie sie es nannten, dem »Krak des Chevaliers« führte.
Dieser Raum passte ganz und gar nicht zum frommen Bild eines christlichen Klosters. Die Wände zeigten keine Fresken von andächtigen Heiligen, leidenden Christen oder schmerzensreichen Madonnen. Auf den Deckengemälden waren Burgen mit gewaltigen Zinnen zu sehen, Schiffe mit geblähten Segeln, eine aufgewühlte See. An den Wänden hingen Karten des Mittelmeeres, von Europa und Amerika, übersät mit Pfeilen, Notizen, Kreuzen und Halbmonden. Drei lange, schmale Tische mit Bänken zu beiden Seiten standen auf einem schwarz-weiß gewürfelten Marmorboden. An ihnen saßen die neun Mitglieder des Ordenskapitels, zudem eine ganze Reihe von Mönchen, die konzentriert auf ihre Schachbretter blickten und sich nachdenklich das Kinn rieben.
Als León eintrat, wurde gerade die unglückliche Chronik der Einnahme des »Krak des Chevaliers« vorgetragen, jener großen Festung im Heiligen Land, die lange Zeit den Johannitern gehört und die mindestens zwölf Angriffen der Muslime widerstanden hatte, bevor sie in die Hände des ägyptischen Sultans Baibars fiel. Der melancholische Singsang des Vorlesers hatte die Anwesenden in eine Art Trance versetzt, aus der sie plötzlich auffuhren, als der junge Mann eintrat. Wegen des geheimen Charakters seiner Mission in Sevilla hatte man León angehalten, bei seinen Besuchen stets Vorsicht walten zu lassen und nur in der nächtlichen Dunkelheit zu kommen, um neugierigen Blicken zu entgehen.
»Mein lieber Bruder, ist etwas vorgefallen?« Bruder Dámaso, der Prior von San Juan de Acre, der nur wenig älter war als León, erhob sich, um ihn mit zwei Wangenküssen zu begrüßen.
»Ja, Bruder Dámaso«, antwortete er. »Es ist etwas vorgefallen. Aber seid unbesorgt. Es ist nichts, was unsere Mission gefährden könnte. Ich bin gekommen, um Euch eine Mitteilung zu machen. Ich werde die Witwe de Haro heiraten.«
»Heiraten?« Die Mönche, die weiter weg saßen und sich bislang auf die schwarzen und weißen
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