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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Erdbeben hin. Es roch nach Farbe und frischem Holz. In den Blumenvasen blühten Nelken, auf dem Esszimmertisch stand eine Schale mit Obst und in den Vogelkäfigen hüpften Stieglitze, die aus voller Kehle sangen. Der Patio erstrahlte in blendendem Weiß, nur durchbrochen von den gelb abgesetzten Kapitellen der Säulen. In der Mitte des Innenhofes stand nun ein leise plätschernder Brunnen, auf dem sich drei rundliche Putten aus Krügen und Schalen neckisch Wasser über die Köpfe schütteten. An der nördlichen Wand war ein Wasserhahn installiert worden, der das Haus mit Trinkwasser versorgte, das direkt aus den Wasserleitungen aus Carmona kam, damit die Dienstmägde nicht jeden Tag Krüge zum öffentlichen Brunnen schleppen mussten.
    »Genau wie in dem Palast an der Plaza del Duque«, eröffnete ihnen Mamita Lula begeistert.
    »Es ist wundervoll!«, sagte Julia.
    »Was ist das?« Plötzlich ganz ernst, deutete León auf eine der Patiowände.
    Zwischen zwei Blumentöpfen mit Orangenblüten hing der Stein in Form einer riesigen Münze, der am Tag des Erdbebens aus dem Gewölbe der Kathedrale gestürzt war und den Doña Julia aus dem Schutt gerettet hatte. Mamita Lula hatte die Handwerker angewiesen, an der Rückseite einen Haken anzubringen, damit man ihn aufhängen und als Wandschmuck verwenden konnte. León trat näher heran und betrachtete neugierig das Reliefbild, das sich darauf befand. Dem Ausdruck der Figuren und der gewählten Perspektive nach zu urteilen, war es wohl in das späte 15. oder frühe 16. Jahrhundert zu datieren.
    Es handelte sich um eine eigenartige Szene: Im Vordergrund waren zwei vornehm aussehende Männer zu erkennen, die sich an einem Schachbrett gegenübersaßen und offenbar in eine Partie vertieft waren. Der eine trug eine lange Tunika und einen Turban und hockte mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. Der andere saß auf einem Thron und trug eine Königskrone. Hinter ihnen waren drei weitere Männer zu erkennen. Einer von ihnen trug ebenfalls eine Krone, die beiden anderen trugen das Haar im Stil des Mittelalters und hielten Schwerter in den Händen. Trotz der geringen Größe waren das Schachbrett und die Figuren so sorgfältig gearbeitet, dass man erkennen konnte, wer die Partie gewonnen hatte. Rings um die Szene war ein lateinischer Satz eingemeißelt.
     
    HIC LATENT LUDI REGULAE
     
    »Hier sind die Regeln des Spiels«, übersetzte León leise murmelnd den Satz. »Unglaublich. Woher stammt das?«
    »Ich habe ihn in der Kathedrale gefunden. Er fiel beim Erdbeben von der Decke. Was ist los mit dir?« Die Reaktion ihres Mannes erstaunte Julia. Sie hatte ihn noch nie so überrascht gesehen.
    »Unglaublich«, sagte er erneut.
    León untersuchte das Relief eingehend, fuhr mit den Fingerspitzen darüber und klopfte dagegen, um zu prüfen, ob es hohl war.
    »
Hic latent ludi regulae.
Hier sind die Regeln des Spiels«, wiederholte er und strich über die in den Stein geschlagenen Lettern.
    »Kannst du mir erklären, um was es hier geht?« Julia sah ihn an.
    »Dieser Stein … die Inschrift«, begann er stockend zu erklären. »Diese beiden Männer … Ich könnte schwören, dass derjenige, der auf dem Boden sitzt, ein Maure ist. Der andere ist ohne Frage ein Christ. Es handelt sich um einen König: Er trägt eine Krone und ist größer als die Übrigen, ein Zeichen für hohe Würde. Das ist mit Sicherheit eine christliche Arbeit.« Er schwieg einen Moment. »Wenn der Stein aus der Kathedrale stammt, handelt es sich sehr wahrscheinlich um König Ferdinand.«
    »Mit wem spielt er Schach?«, fragte Julia.
    »Ich glaube, die Szene zeigt den Tag der Einnahme Sevillas: den 23. November 1248. Falls das stimmt, ist der Mann gegenüber von Ferdinand der muslimische Machthaber Axataf, der bis zur Ankunft der Christen die Stadt regierte.«
    »Und wer sind die drei Männer im Hintergrund?«
    »Der mit der Krone ist sehr wahrscheinlich Alfons X., genannt der Weise, der damals noch Kronprinz war. Er unterstützte seinen Vater bei dessen Vorhaben, das gesamte Guadalquivir-Tal zu erobern.« León betrachtete das Relief erneut. »Gut möglich, dass es sich bei den anderen beiden um die Ritter Garci Pérez de Varga und Pelayo Pérez Correa handelt. Sie hatten grundlegenden Anteil an der Einnahme Sevillas. Die Chroniken berichten, dass sie die Mauern erklommen und mit gezücktem Schwert bis zur Giralda vorstießen.«
    Mamita Lula lauschte Leóns Erklärungen aufmerksam, ohne ein Wort zu sagen. Sie nahm den

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