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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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fortschreitende Grünfärbung der Rinde zu studieren, und mischte den Schimmel unter den Zimt, was eine beträchtliche Gefahr für die Gesundheit sämtlicher Hausbewohner bedeutete. Er hörte auf, sich zu waschen. Er fand es absurd, seine Zeit mit Körperpflege zu verschwenden, wenn die einzige Frau, die er beeindrucken wolle, nicht mehr unter den Lebenden weile.
    An dem Tag, als er ohne einen Funken Scham mit dämonisch wirrem Haar, Ziegenbärtchen und in Unterkleidern durchs Haus lief, wurden die Dienstmädchen bei Julia vorstellig, um ihr mitzuteilen, dass sie nicht länger für den Herrn Gil de la Sierpe arbeiten würden. Daraufhin beschloss diese, eines der Gästezimmer im ersten Stock der Druckerei herzurichten und ihren Vater in ihrem Haus unterzubringen.
    Sie brachte alle seine Apothekergerätschaften dorthin: seine Reagenzgläser, seine magischen Pülverchen, seine Heilpflanzen und die Gläser mit den Insekten. Das Teleskop stellte sie auf den Dachboden und richtete es auf die Dachluke aus. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau wohnte Juan Nepomuceno im Haus seiner Tochter.
    Dieses ganze Hin und Her brachte Julia auf den harten Boden der Realität zurück, den sie mit ihrer Hochzeit verlassen hatte. Durch den Kummer versiegte ihre Milch, so dass sie anfing, Abel mit Brei aus geröstetem Mehl zu füttern. Sie gab in der Schneiderei zwei Mantillen in Auftrag: eine weiße für morgens und eine schwarze für nachmittags, des Weiteren Seidenhandschuhe, einen schwarzen Rock und einen mit silbernen Pailletten besetzten Fächer aus Bein und Spitze. Eines schönen Tages sah León, wie sie ihr Haar wieder zu einem dicken Knoten aufsteckte, er hörte sie summen, als sie die Treppe hinabging, und erkannte ihren wiegenden Gang und ihren geheimnisvollen Blick wieder. An diesem Abend schlief der kleine Abel zum ersten Mal in seinem eigenen Zimmer. León kehrte aus der Verbannung im Keller zurück und hörte wieder, wie ihm sein geheimer arabischer Name voller Leidenschaft ins Ohr geflüstert wurde.
    ***
    VON DIESEM MOMENT an kümmerte sich Mamita Lula darum, dass Abel seine Kindheit überstand, ohne sich das Genick zu brechen, denn der Junge war ein echter Draufgänger. Er hörte sehr bald auf zu krabbeln und zog sich an Säulen, Bettpfosten, Tischbeinen und Stühlen hoch. Man durfte ihn keinen Augenblick aus den Augen lassen, damit er nicht die Treppe hinunterkugelte, auf ein Fass mit Druckerschwärze kletterte, in die Druckerpresse geriet oder die Bleilettern aus dem Setzkasten verschluckte. Der Kleine begann am Morgen seinen wackligen Rundgang durchs Haus, unverständliche Laute brabbelnd, die so gar nichts mit dem Plappern anderer Kinder zu tun hatten. Die Stirn hatte er dabei gerunzelt wie ein Erwachsener, und mit seinen zusammengekniffenen Augenbrauen und der vorgeschobenen Unterlippe hatte er schon damals diesen ernsten Ausdruck, den er bis zum Ende seiner Tage behalten sollte.
    »Es sieht aus, als ob er wütend wäre«, sagte Julia manchmal.
    »Er ist nicht wütend«, entgegnete León dann. »Er legt die Stirn in Falten, weil er nachdenkt. Er ist nicht wie diese albernen Kinder, die über beide Backen strahlen und alles besabbern. Er lässt sich nicht von buntem Glitzer und Süßigkeiten verführen. Abel sieht genau hin, er stellt sich Fragen. Er entdeckt die Welt.«
    »Genau wie sein Vater«, murmelte Mamita Lula.
    Julia trug sich unterdessen mit dem Gedanken, das Geschäft zu erweitern. Sie ersetzte endlich das Schild an der Tür, doch statt jenem mit der Aufschrift DRUCKEREI DE HARO brachte sie eines an, auf dem zu lesen stand: HIER WERDEN BÜCHER GEDRUCKT . Sie wurde bekannt, weil sie über die besten Schreiber der Stadt verfügte. Es gab Leute, die ungeduldig darauf warteten, dass die
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von Juan de Quevedo und vor allem die neuesten und stets polemischen Ansichten des »Alten Weisen«, der sich zunehmend als strenger Glaubenswächter entpuppte, der mit einer Inbrunst, die fast ans Dramatische grenzte, die letzte Fronleichnamsprozession anprangerte, bei der die Mädchen zu sehr gelächelt hätten – wo sollte das noch enden? Die Leute kauften die gehefteten Blätter, ordneten sie nach Datum, und wenn sie genug beisammenhatten, ließen sie sie binden. Julia überlegte, dass sie, wenn sie in der Druckerei einzelne Blätter mit Buchstaben bedrucken konnten, diese genauso gut auch binden, mit einem Einband versehen und direkt in

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