Der Turm der Könige
sein schien: ihr Geschäft. Cristóbal stand bereit, diese Leerstelle zu füllen. Julia in geschäftlichen Dingen zur Seite zu stehen gab ihm das Gefühl, ihr Partner zu sein. Schließlich verbrachte er täglich mehr Zeit in ihrer Nähe als ihr nutzloser Ehemann.
Der Werkstattmeister erklärte sich bereit, den »Alten Weisen« über Leóns Aktivitäten zu informieren, in der Hoffnung, diesen bei einer Unachtsamkeit zu ertappen, die ihm vor den Augen seiner Frau die Maske herunterriss. Es war ein Leichtes für Álvarez gewesen, Cristóbal davon zu überzeugen, dass León in Wirklichkeit ein Ketzer sei, der zu den schlimmsten Taten fähig war.
Der Druckermeister lernte, die kleinen Hinweise zu erkennen, die darauf hindeuteten, dass einer seiner heimlichen Ausflüge bevorstand. Er wusste es, weil León an diesen Tagen geistesabwesend war, sein Blick etwas zu verbergen schien. Manchmal ertappte er ihn dabei, wie er sich in einen Plan oder einer Karte vertiefte, aber ihm blieb keine Zeit, zu sehen, worum es sich handelte. Sobald León merkte, dass jemand in der Nähe war, faltete er das Blatt, steckte es in die Tasche und ging weiter seiner Arbeit nach, als ob nichts gewesen wäre. Cristóbal spürte, dass er ein Geheimnis hütete, und suchte einen Hinweis auf Verrat, ein Vergehen oder eine Unrechtmäßigkeit, den er für seine Zwecke nutzen könnte. Doch alles, was er bislang herausgefunden hatte, waren die Besuche in der Komturei San Juan de Acre. Alles schien nach außen hin fromm und unschuldig zu sein, doch er wusste, dass sich dahinter etwas Heimliches, Verbotenes, Böses verbarg. Und in dieser Nacht war er entschlossen, es herauszufinden.
***
AM ABEND VERLIESS CRISTÓBAL die Druckerei, doch statt nach Hause zu gehen, wartete er im Schatten der dunklen Gassen. Er beobachtete, wie die Lichter im Haus erloschen, als seine Bewohner schlafen gingen. Zuerst wurde es in der Werkstatt und im Patio dunkel, dann in Mamita Lulas Zimmer, zuletzt im ehelichen Schlafzimmer. Er vermutete, dass León warten würde, bis seine Frau eingeschlafen war, bevor er das Haus verließ. Daher verharrte Cristóbal noch eine weitere Stunde an der Straßenecke. Anderthalb.
Er begann, ungeduldig zu werden. Es war kalt, er hatte Durst, und von dort, wo er stand, konnte er das Stimmengewirr aus der Schänke Punta del Diamante hören, welche mit Sicherheit voller Menschen war, die sich amüsierten. Er überlegte, dass er die Zeichen womöglich falsch verstanden hatte und León gar nicht die Absicht hatte, in dieser Nacht auszugehen. Doch genau in dem Moment, als er gerade aufgeben wollte, bemerkte er, wie sich die Tür der Druckerei öffnete.
León trat auf die Straße, schloss vorsichtig hinter sich und drehte ganz langsam den Schlüssel um. Dann ging er leichtfüßig und mit langen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzudrehen, und bog in die erste Straße nach links ein, in Richtung Kathedrale. Über der Schulter trug er einen Jutesack, sein Gesicht war unter der Kapuze verborgen. Leóns Gestalt wirkte wie ein gespenstischer Schatten, der seinen eigenen Schritten vorauseilte. Er ging um die Kirche herum und stieß dann das erste Gitter zu seiner Rechten auf. Cristóbal sah, wie er mehrere große Schlüssel aus dem Sack nahm und damit die Puerta de Palos aufschloss, so selbstverständlich, als betrete er sein eigenes Haus.
Der Druckermeister stand da wie angewurzelt. Tausend Fragen schossen ihm durch den Kopf. Im silbernen Licht der Nacht, unter einem riesigen Mond, der über die Dächer der Häuser dahinfloss und sie wie aus Metall erscheinen ließ, brauchte er eine Weile, um sich von der Überraschung zu erholen. Die sanfte Brise trug den Duft von Orangenblüten heran. Leóns Abgeklärtheit ließ darauf schließen, dass er das nicht zum ersten Mal tat. Sein Verhalten ließ keine Hast, Nervosität oder Angst vor Entdeckung erkennen. Handelte es sich womöglich um Reliquienraub? Grabschändung? Je länger Christóbal dort stand, desto mehr Dinge fielen ihm ein, viele davon so abwegig, dass sich ihm der Magen umdrehte. Der »Alte Weise« hatte recht gehabt: León war ein verderbter Mensch. An dem Tag, da er – Cristóbal – es belegen konnte und genügend Beweise zusammenhatte, würde er sie Doña Julia auf dem Silbertablett servieren. Früher oder später musste sie einfach ihm gehören. So würde es sein, daran hatte er keinen Zweifel.
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DIE KOMTUREI SAN JUAN de Acre besaß ein Verwaltungsgremium, das aus zwei
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