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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Kutschen ans Stadtzentrum heran, um sie dann bis zu ihrer Rückkehr in der Obhut der Kutscher zurückzulassen. Rund um die Plaza de San Francisco, die Calle Génova und die Stufen der Puerta de Jérez war alles voller schweißnasser Tiere, die ungeduldig wieherten und mit den Hufen stampften. Ein unerwartetes Ereignis führte offenbar auf Höhe des Postigo del Carbón dazu, dass eines der Pferde scheute und durchging. Es zog einen viersitzigen Wagen hinter sich her, der führerlos dahinrumpelte wie ein Höllengefährt. Die Passanten kreischten laut auf und sprangen entsetzt zur Seite.
    Julias Mutter bemerkte nicht einmal, was da auf sie zukam, weil sie ein wenig benommen die Straße entlangtorkelte – diese höllischen Temperaturen machten selbst dem Stärksten zu schaffen. Auf Höhe der Plaza de Santo Tomás wurde sie von dem Pferd erfasst und geriet unter die schmalen Räder der Kutsche. Den vorderen konnte sie noch ausweichen, doch dann wurde sie vom rechten Hinterrad überrollt.
    Als sie in die Druckerei kamen, um die traurige Nachricht zu überbringen, galt Julias erster Gedanke ihrem Vater. Man hatte ihr den Unfall in allen Einzelheiten geschildert, und sie beschloss gleich zu verhindern, dass er die sterblichen Überreste ihrer Mutter zu Gesicht bekam. Dann legte sie Trauerkleidung an, organisierte eine Totenwache im Patio ihres Hauses, bestellte Blumen, entzündete die Kerzen und setzte sich neben den Sarg, den sie hatte schließen lassen.
    Sie empfing die Familienangehörigen, Freunde und Bekannte, die eintrafen, um ihr Beileid auszusprechen, während sie verstohlen den Witwer betrachteten, der abwesend und mit gesenktem Kopf dasaß. Dieser hatte kein Wort gesagt, seit man ihn über das Unglück informiert hatte; er bewegte nur lautlos die Lippen. Das machte Julia ein wenig Angst, denn sie glaubte nicht, dass er betete; er war nie fromm genug gewesen, um mit Gott private Zwiesprache zu halten, und schon gar nicht vor Publikum.
    Als gute Tochter hielt Julia die ganze Nacht Totenwache. Sie war überrascht, wie wenig sie trauerte und wie sehr sie die Frage beschäftigte, wo ihre Mutter bestattet werden sollte. Da sie eine praktisch veranlagte Frau war, erinnerte sie sich daran, dass es in der Grabstätte der Familie de Haro in der Kathedrale, die sie geerbt hatte, noch Platz gab. Aber sie war sich nicht sicher, ob es der Etikette entsprach, die Grabkapelle ihres ersten Mannes zu nutzen, in der auch dessen erste Frau ruhte, um nun dort ihre Mutter zu bestatten, nachdem sie selbst doch einen anderen geheiratet hatte.
    »Glaubst du, das gäbe großen Verdruss unter den Verstorbenen?«, fragte sie Mamita Lula besorgt. »Was passiert am Tag der Auferstehung? Vielleicht kennen sie sich nicht und fangen an zu streiten, und dann müssen sie warten, bis ich mit dem Schlüssel für das Gitter komme, während sie sich die ganze Zeit unschöne Dinge an den Kopf werfen …«
    »Ehrlich gesagt … ich glaube nicht, dass in einem solchen Moment die Zeit für Vorwürfe ist«, antwortete die Haushälterin überzeugt.
    Noch lange wurde über den schrecklichen Unfall gesprochen, der die Frau des Apothekers das Leben gekostet hatte, aber am Ende war die Geschichte völlig verdreht worden. Man unterschlug den Besuch des Schädels des heiligen Gregor, die Feiern in den Straßen und die Menschenansammlungen. Alles, woran man sich nach zwei Wochen noch erinnerte, war, dass Doña Julias Mutter tragischerweise von einem Wagen zerquetscht wurde, als sie von der schwülen Hitze völlig benommen durch die Gegend lief. Die Ärmste hatte ihre Sinne nicht beieinander, und schuld daran war ihre einzige Tochter, die gegen alle Regeln des Anstands diesen Piraten mit dem stechenden Blick und dem Raubtiernamen geheiratet hatte.
    »Die arme Frau war außer sich vor Kummer«, urteilten die Leute. »Und ihr Mann hat darüber den Verstand verloren.«
    Mit der zweiten Feststellung hatten sie teilweise recht. Juan Nepomuceno, der schon immer den Ruf eines Exzentrikers gehabt hatte, war seither noch merkwürdiger geworden. Da nun niemand mehr da war, der ihn im ehelichen Bett erwartete, beobachtete er nachts den Himmel mit einem Teleskop, das man ihm aus Italien mitgebracht hatte, unterhielt sich mit den Sternen und lachte leise vor sich hin. Nun, da ihm seine Frau keine Vorschriften mehr machen konnte, begann er, auch die Küche für seine Experimente zu nutzen. Er tauschte das Salz gegen Zucker aus, versteckte feuchtes Brot in den Ecken, um die

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