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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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führen.«
    »Ich weiß, León.« Bruder Dámaso konnte ein trauriges Seufzen nicht unterdrücken. »Wir leben mit der drückenden Schuld, verloren zu haben, was der König uns anvertraute. Um nicht das Gefühl zu haben, untätig zu bleiben, und um unseren Fehler wiedergutzumachen, spielen wir unermüdlich Schach, Generation um Generation. Wir haben versucht, die Besten zu werden, um uns auf diese Partie vorzubereiten. Es macht mich glücklich und ruhig, dass du der Auserwählte bist«, schloss er und legte die Hand auf Leóns Schulter.
    »Aber es wird keine Partie geben, wenn wir nicht zuerst den Kapitulationsvertrag finden«, entgegnete dieser und kehrte damit zu dem Thema zurück, das ihm im Kopf herumging. »Und ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass er sich in der Kathedrale befindet. Bei der Durchsicht der alten Chroniken, die ich in der Druckerei fand, konnte ich herausfinden, dass sich Don Manuel López de Haro am Samstag, den 10. Oktober 1506, um Punkt zwölf Uhr mittags gemeinsam mit dem Herzog von Medina Sidonia und dem Markgrafen von Tarifa auf einem Gerüst im höchsten Gewölbe der Kathedrale von Sevilla befand, um den Stein einzusetzen, mit dem die Bauarbeiten an der Kirche für beendet erklärt wurden.« Und feierlich setzte er hinzu: »Unser Bruder, der Drucker, ist nicht gestorben, ohne zuvor zu verraten, wo er den Kapitulationsvertrag versteckt hat. Ich glaube, dass er sein Testament hinterließ, sichtbar für all jene, die das größte gotische Gotteshaus der Christenheit besuchen, niedergeschrieben auf einem Stein: dem Schlussstein. Wir müssen ihn nur noch entziffern.«

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    Schachspieler: Auserwählte des Zweifels. Jeder Mensch sollte ein eigenes Ziel suchen, das nur für ihn Gültigkeit hat, und seinen persönlichen Weg verfolgen, der von rein subjektiver Bedeutung ist. Wir entscheiden, was wir sind, und wir sind, wofür wir uns entscheiden.
    JEAN PAUL SARTRE
    A m 5. August, neun Monate nach dem Erdbeben, brachte Julia einen Jungen zur Welt. In der Stadt wurde geredet, aber das war ihr völlig gleichgültig. Nichts hatte sie je so glücklich gemacht wie die Geburt ihres Sohnes. Sie, die sich damit abgefunden hatte, dass es ihre Bestimmung zu sein schien, ohne Nachkommen zu bleiben, war die letzten Wochen prall und rund gewesen wie eine reife Frucht, bis schließlich offensichtlich wurde, dass Julias Leib nicht mehr den Platz bot, den dieses kleine Wesen benötigte.
    Die Niederkunft begann um zwei Uhr nachts. Julia wollte aufstehen, weil sie einen starken Druck im Bauch spürte, doch kaum hatte sie die Füße auf den Boden gesetzt, als sich der See in ihrem Inneren schwallartig nach außen ergoss. Sie rief lautstark nach Mamita Lula, und eine ganze Schar von Dienstmägden begann mit den üblichen Geburtsvorbereitungen. Sie zerschnitten ihr Nachthemd, legten die werdende Mutter wieder aufs Bett, schleppten schüsselweise heißes Wasser heran, Tücher und Gaze. Nach vielen Stunden voller Schreie, Stöhnen, Blut und Schweiß kam das Köpfchen des Kindes endlich zwischen den Beinen seiner Mutter zum Vorschein. Mamita Lula schob die Frauen beiseite. Sie war es, die das Kind auf der Welt empfing, indem sie die Nabelschnur durchschnitt. Währenddessen wartete León ungeduldig vor dem Schlafzimmer. Er presste zuweilen das Ohr an die Tür und fühlte sich durch die Natur von dieser weiblichen Welt ausgeschlossen, in die sich das Haus verwandelt hatte.
    »Es ist ein Junge«, verkündete Mamita Lula mit einem breiten Lächeln, als sie schließlich den Kopf zur Tür heraussteckte, um sie gleich darauf wieder ins Schloss zu werfen.
    Es war ein properes, rosiges Kind ohne Augenbrauen und Wimpern und mit dem blonden Haar des Vaters. Wie das Jesuskind sehe es aus, versicherten die Dienstmädchen, ohne zu bedenken, dass es bei den Evangelisten Lukas und Matthäus hieß, Jesus sei in Bethlehem geboren, einer Gegend, in der die Menschen dunkelhäutig waren. Man musste ihm keinen Klaps auf den Po geben, weil es von selbst schrie. Es brüllte wie von Sinnen, mit geballten Fäustchen, und zeigte sein zahnloses Mündchen.
    »Ich werde ihn Abel nennen«, sagte die Mutter und sah ihn verzückt an.
    Der Kleine klammerte sich an ihre Brust und begann sofort, daran zu saugen. Julia war glücklich. Die Müdigkeit und Trägheit verschwanden, aber trotzdem nahm sie ihre früheren Tätigkeiten nicht mehr auf. Sie vernachlässigte die Druckerei, interessierte sich nicht mehr für Mode und

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