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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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untröstlich zu schluchzen.
    Der Kummer seiner Tochter schien Juan Nepomuceno für kurze Zeit aus seiner Lethargie zu reißen. Er suchte in einem seiner alten Apothekerbücher nach einem Rezept zur Behandlung von Raserei bei schweren seelischen Erschütterungen. Nachdem er die Mischung zubereitet hatte, gab er sie ihr in einem Glas Cognac zu trinken. Danach schlief sie die ganze Nacht.
    »Das Leben wird in Stunden bemessen, meine liebe Mamita … und die Stunden, die vergangen sind, kehren nicht wieder«, sagte sie mit schwerer Zunge zu Mamita Lula, bevor sie in Morpheus’ Arme sank.
    ***
    DA ES AUSSER DEM HINFÄLLIGEN Nepomuceno keine Männer in der Familie gab, kümmerte sich Cristóbal mit den Männern aus der Druckerei um die Beerdigungsfeierlichkeiten. Sie brachten Trauerflor an den Fenstern zur Calle Génova an, bestellten Nelken, die überall im Haus aufgestellt wurden, und trugen den großen Tisch aus der Druckerei neben den Brunnen im Patio. Sie bedeckten ihn mit einem Stück schwarzen Samt und bahrten den Sarg mit Leóns sterblicher Hülle darauf auf.
    Julia wollte nicht, dass der Sarg geschlossen wurde. Der Tod hatte dem Körper ihres geliebten Mannes nichts anhaben können: Weder hatte er seine Haut grau werden lassen, noch bläuliche Schatten unter seine Augen gelegt oder seine Lippen ausgetrocknet. Im Gegenteil, er unterstrich nur noch seine Vollkommenheit. Im Tod war León noch schöner als im Leben. Julia faltete ihm die Hände auf der Brust und stellte vier brennende Kerzen auf, deren Wachsgeruch tagelang in der Luft lag und an eine Kirche erinnerte. Sie hatte ihm eines der Jacketts angezogen, die sie ihm vor der Hochzeit hatte anfertigen lassen und die er zu Lebzeiten nie getragen hatte.
    Das Haus begann, sich zu füllen. Unter den Fremden fielen die zahlreichen Mönche des Johanniterordens auf, die mit bestürzten Gesichtern und dem Malteserkreuz auf der Brust am Sarg entlangzogen. Für einen kurzen Moment fragte sich Julia, was diese Männer in ihrem Haus machten und woher sie ihren Mann kannten. Doch gleich darauf hatte sie diesen Gedanken wieder vergessen. Wenn sie León dort im Sarg liegen sah, reichte ihr Schmerz nicht aus, um zu begreifen, dass er tatsächlich tot war. Er sah aus, als schliefe er, ein Erzengel Gabriel, den Gott von der Erde abberufen hatte, weil er nicht auf seine Schönheit verzichten wollte. Die einfachen Sterblichen hatten ihn nicht verdient, sagte sich seine Witwe und warf sich über ihn, von Verzweiflung überwältigt.
    »Geh nicht fort, Asad«, flüsterte sie ihm leise ins Ohr.
    Cristóbal fasste sie sanft um die Taille und führte sie zu einem Stuhl. Er strich ihr übers Haar und versicherte ihr, dass sie nicht alleine war, dass sie nie alleine sein würde, solange er noch einen Funken Leben in der Brust hatte. Eine Welle der Zärtlichkeit überflutete ihn, als er ihre Stirn an seiner Schulter spürte, während das Schluchzen sie schüttelte. Noch nie zuvor war sie ihm so nahe gewesen.
    Es war ein befriedigendes Gefühl zu wissen, dass sie ihn brauchte, jetzt mehr denn je. Im Laufe der Jahre war die Erkenntnis in ihm gereift, dass Liebe und Leidenschaft nicht ausreichten, um eine glückliche Verbindung zwischen Mann und Frau zu schaffen. Es störte ihn nicht, dass sie nicht in ihn verliebt war; es genügte ihm, dass sie ihn brauchte. Und so flüsterte er leise auf Julia ein, während sie an seiner Schulter schluchzte.
    »Sie brauchen sich um nichts zu sorgen«, sagte er und streichelte ihre Hand. »Ich werde mich um alles kümmern – um die Druckerei und um Sie in Ihrem Kummer. Ich werde auf Sie aufpassen. Ich habe gerade mit den freundlichen Brüdern von der Komturei San Juan de Acre gesprochen.« Er blickte zu den Mönchen hinüber, die immer noch da waren. »Sie haben beteuert, dass sie sich glücklich schätzen würden, Ihren verstorbenen Mann in der Komturei zu bestatten. Sie haben mir versichert, dass es eine sehr schöne Beerdigung werden wird: alle Ordensbrüder in zwei Reihen, mit Kerzen in den Händen … Sie werden sechs Messen für ihn lesen und fünf Vaterunser und ebenso viele Ave Marias für ihn beten. Ich finde, das ist ein wunderbarer Vorschlag …«
    Julia schwieg, aber sie hörte auf zu weinen und hob den Kopf. Sie sah Cristóbal an, als ob sie ihn nicht kennen würde. Ihre Augen waren feucht, ihr Kinn bebte.
    »Mein León wird nicht in einer fremden Kapelle ruhen. Diese Leute sind nicht seine Familie. Es gibt noch Platz in der Kathedrale«,

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