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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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blickte sich vorsichtig um und sah das völlig verstörte Gesicht seines Sohnes. Seine Unterlippe bebte, und er umklammerte ganz fest die Hosenbeine seines Vaters. Auch der Angreifer musterte Abel. Dann packte er ihn am Arm, zog ihn aus seinem Versteck und schüttelte ihn.
    »Stell dich hierher, damit ich dich sehe, verfluchter Rotzbengel«, brüllte er ihn an.
    »Du gemeiner Schuft!«, kreischte der Junge, während er die Fäuste schüttelte und mit den Füßen um sich trat.
    Der Mann zog die linke Hand unter dem Umhang hervor und verpasste dem Jungen eine Ohrfeige, dass dieser in sich zusammensank wie eine Puppe. Da verlor León die Beherrschung, zu der er sich bislang gezwungen hatte. Mit wutentbrannter Miene und zusammengebissenen Zähnen stürzte er sich auf den Angreifer, der genau in diesem Moment einen Schritt vorwärts machte und ihm das Messer in den Leib rammte.
    Die beiden Männer standen sich gegenüber, und für einen Augenblick schien es, als würde die Zeit stillstehen. Am Boden liegend, sah Abel, wie der Unbekannte das Messer aus dem Bauch seines Vaters herauszog. Tiefrote Tropfen rannen über die Klinge, fielen auf den Boden und besprenkelten die Erde. León packte die Kapuze seines Gegners und versuchte, sein Gesicht zu enthüllen. Und auf einmal schien alles wieder in der gewohnten Geschwindigkeit abzulaufen. In Sekundenschnelle wich der Angreifer zurück, um nicht erkannt zu werden. Dann stieß er einen wütenden Schrei aus und stach unter Abels entsetzten Blicken noch dreimal zu.
    León lehnte sich an die Hauswand, die sich hinter ihm befand, und sackte langsam in sich zusammen, bis er schließlich auf dem Boden lag. Der Angreifer riss ihm mit einem Ruck das Hemd auf und betrachtete enttäuscht seine leere Brust. Er betastete seine Kleider, kehrte die Jackentaschen nach außen, schüttelte den Lederbeutel, den er am Gürtel trug. An Geld schien der Schurke nicht interessiert zu sein, denn er warf alles achtlos auf den Boden, auch die Münzen.
    »Wo ist er? Wo ist er?«, stieß er atemlos hervor.
    Als er alles durchsucht hatte, stieß er einen Fluch aus, drehte sich um und rannte davon. Sein dunkler Umhang wehte im Wind.
    León presste die Hände auf seinen Unterleib. Er spürte das warme Blut zwischen seinen Fingern hervorquellen. Seine jahrelange Beschäftigung mit der menschlichen Anatomie und seine Kampferfahrung ließen keinen Zweifel: Er wusste, er würde sterben.
    »Hilfe!«, schrie Abel, die Augen voller Tränen. »Mein Vater ist verletzt!«
    »Leoncito, kleiner Löwe, hör zu«, flüsterte León. »Tu mir einen Gefallen.«
    Abel kauerte sich neben ihn.
    »Vergiss nie, dass ich dich sehr lieb habe.«
    »Ich dich auch …«, stotterte der Junge.
    »Hör gut zu«, sagte León dann mühsam. »Es ist sehr wichtig. Hat dieser Kerl dir den Elefanten abgenommen?«
    »Nein«, schluchzte Abel.
    »Gut. Hör mir zu. Du bist jetzt derjenige, der den Schatz finden muss. Du musst sehr, sehr gut auf den Elefanten und auf das Kreuz aufpassen, das ich dir umgehängt habe.« Seine Stimme wurde immer schwächer. »Irgendwann werden dir diese beiden Gegenstände alle Türen öffnen. Versprich es mir. Ver … sprich … es … mir … Ver … sprich …« León riss sich ein letztes Mal zusammen. »Versprich mir, dass du gut auf den elfenbeinernen Elefanten und das Malteserkreuz aufpassen wirst.«
    »Ich verspreche es.«
    Abel umschloss den Elefanten mit seiner Faust. Dann warf er sich mit einem Aufschrei auf den leblosen Körper seines Vaters.
    ***
    JULIA WEINTE ÜBER ZWANZIG STUNDEN ununterbrochen. Manchmal zutiefst verzweifelt, manchmal leise wimmernd und mit leerem Blick. Sie quälte sich mit dem Gedanken an die Dinge, die sie León beim letzten Streit vorgeworfen hatte, an die Zeit mit ihm, die sie nicht genutzt, und an die Zärtlichkeiten, die sie ihm nicht gegeben hatte. Sie dachte an all die Male, die sie ihm nicht gesagt hatte, dass sie ihn liebte, an die Nächte, in denen sie sich nicht geliebt hatten, weil sie zu müde gewesen war. Sie war sich sicher gewesen, dass noch Zeit genug sein würde und der Mann ihres Lebens, ihre große Liebe, ihr Freibeuter mit den meerblauen Augen, für immer bei ihr bleiben würde.
    Die Realität des Lebens traf sie mit voller Wucht. Der Schmerz hatte sie so fest in seinen Fängen, dass sie jede Zurückhaltung verlor. Sie warf Vasen gegen die Wände, trampelte auf den Blumen herum, stieß Regale um, trat gegen die Türen, um anschließend zusammenzubrechen und

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