Der Turm der Könige
du?«
»Möglich. Ich weiß noch, dass man mir seinerzeit erklärte, unser heutiger Läufer sei früher ein Elefant gewesen. Und an diesem Ort, wo ich damals war, spielten alle Schach. Es gab eine Tafel mit einer Liste von Namen und Zügen …«
»Vielleicht ist ja der Zug, der auf der Zeichnung dargestellt ist, das Entscheidende. Sagt er dir nichts?«
Abel nahm erneut das Kalenderblatt zur Hand.
»Es gibt ein Problem«, erklärte er. »Hier ist kein Zug dargestellt. Es ist der Anfang der Partie, es hat noch keiner gezogen.«
»Nun, das könnte heißen, dass …«
»Warte mal«, unterbrach Abel. »Da ist noch etwas. Das ist kein Schachbrett … Na ja, eigentlich schon, aber die runden Steine deuten darauf hin, dass es sich hier um ein Damespiel handelt. Moment mal!«
Abel riss Julita das Blatt aus der Hand. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Noch einmal betrachtete er ungläubig das Blatt.
»Dame.
Damas
. O. Damas – O. Pater Dámaso!«, rief er. »Das war der Name des Mönchs, der mir Gesellschaft leistete, während mein Vater mit dem marokkanischen Botschafter sprach. Jetzt erinnere ich mich wieder.«
»Das ist das Ende der Botschaft, sozusagen die Unterschrift«, folgerte Julita. »Er muss sie geschrieben haben. Aber was bedeutet der Rest?«
»Er hatte eine Vorliebe für Anagramme«, fuhr Abel fort, als erinnerte er sich zum ersten Mal daran. »Wir haben mit Buchstaben gespielt, sie hin und her geschoben, bis ein anderes Wort oder ein anderer Satz entstand. Melonen, abgerodet …«, murmelte er.
»Was?«
»Abel de Montenegro … Wenn du die Reihenfolge der Buchstaben meines Namens änderst, kann man daraus
Melonen, abgerodet
bilden.«
Julia lachte, dann blickte sie wieder auf das Blatt Papier und drehte es um.
»Das Kalenderblatt zeigt den 24. Juni. Der Tag Johannes des Täufers.
San Juan Bautista
. Aber ›Bautista‹, also ›Täufer‹, ist durchgestrichen, und darunter steht ›creA‹, mit großem A. Die Buchstaben sind vertauscht … Du sagst, er spielte gerne mit Buchstaben …« Das Mädchen betrachtete eingehend das Blatt. »San Juan de Acre!«, sagte sie plötzlich. »Sagt dir das etwas? Hat dein Vater es mal erwähnt?«
Ihm kam der Weg wieder in den Sinn, den sie an jenem verhängnisvollen Tag gegangen waren. Sein Vater hatte ihm gesagt, dass sie zur Komturei San Juan de Acre gingen und dass er niemandem davon erzählen dürfe. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass er dabei war, seinen Vater zu verraten. Beinahe hätte er einem Fremden den elfenbeinernen Elefanten ausgehändigt, dessentwegen León de Montenegro sein Leben verloren hatte. Er hatte seinem sterbenden Vater versprochen, gut auf den Elefanten aufzupassen, und beinahe hätte er sein Versprechen gebrochen.
»Ja, er hat mich nach San Juan de Acre mitgenommen«, murmelte er.
»Abel«, sagte Julita sehr ernst. »Hat man dir dort von einem Schatz erzählt?«
Abel sah sie erstaunt an.
»Woher weißt du das?«
»Na ja, es sind nur Vermutungen. Das Kloster, in dem ich aushelfe – Santa Isabel, ganz in der Nähe von San Marcos, erinnerst du dich? Es gehört zur Komturei San Juan de Acre, und ich habe Dinge gehört.«
»Was für Dinge?«
»Weißt du etwas über die Ritterorden?«
Julita erzählte ihm, dass König Ferdinand der Heilige bei der Eroberung Sevillas die militärische Unterstützung der Ritterorden gehabt hatte. Die Templer, die Ritter vom Orden des heiligen Johannes von Jerusalem, die Santiago-Ritter und die Ritter des Calatrava-Ordens hatten Seite an Seite mit seinem Sohn, dem Infanten Alfons, gekämpft. Die Christen fanden eine gut befestigte Stadt vor, die durch mehrere Mauerringe und den Fluss nahezu uneinnehmbar war.
Die Belagerer postierten ihre Truppen an sämtlichen Stadtausgängen und schlugen das Hauptlager in Tablada auf, am Ufer des Guadalquivir. Sie bauten einen Hafen für die Boote, die bei der Einnahme Sevillas eingesetzt werden sollten. Die Stadt sollte vom Fluss abgeschnitten werden, um die Versorgung mit Lebensmitteln aus Aljarafe zu unterbinden. Die Tempelritter hatten ihren Stützpunkt in San Bernardo, benannt nach dem heiligen Bernhard, dem Schutzheiligen der Templer, und lieferten sich von dort aus Gefechte mit den
gazules
, den islamischen Reitertruppen.
Die Belagerung dauerte sehr lange und war hart und entbehrungsreich. Der Großmeister der Templer, Martim Martins, kam dabei ums Leben, doch am Ende trugen die Christen den Sieg davon. Zwei Jahre nach der Belagerung übergab
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