Der Turm der Könige
die Stadt die Schlüssel an den christlichen König.
»Um sich für die geleisteten Dienste erkenntlich zu zeigen«, fuhr Julita fort, »überließ der König den Ritterorden große Ländereien in der Umgebung und hielt dies in den ›Schenkungsbüchern‹ fest. Diese Vorgehensweise sollte den Schutz der Gegend gewährleisten, falls es zu neuerlichen islamischen Einfällen käme. Der Ritterorden der Johanniter, der sich in Sevilla niederließ, ist nur einer von vielen, die sich nach dem Fall Jerusalems über die christliche Welt verteilten«, schloss sie.
Abel konnte nicht glauben, was Julita ihm da erzählte.
»Und du meinst, mein Vater war Mitglied eines Ordens?«
»Möglicherweise. Es gibt überall Laienbrüder«, erklärte das Mädchen.
Abel war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte womöglich soeben eine verborgene Seite seines Vaters entdeckt und musste feststellen, dass Julita mehr über ihn wusste als er.
»Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was ›Portugal die Einen‹ bedeutet«, riss Julita ihn aus seinen Gedanken. Sie betrachtete immer noch eingehend das Kalenderblatt in ihrer Hand.
»Das ist jetzt egal. Ich werde nach San Juan de Acre gehen und Pater Dámaso fragen«, sagte Abel aufgeregt. »Du bist ein Engel!«
Julita strahlte ihn glücklich an.
»Weißt du was?«, sagte sie. »Es stimmt nicht, dass Blut dicker ist als Wasser. Du bist meine wahre Familie.«
***
ES WAR NOCH STOCKFINSTERE Nacht, als Cristo ins Punta del Diamante kam, um nach seinem Vater zu suchen. Der Junge war mit seiner Bruderschaft unterwegs gewesen, um die Bußstation in der Kathedrale abzuhalten, und betrat nun die Kneipe in seiner schwarzen Kutte. Die spitze Kapuze hielt er unter dem Arm, als La Niña Candela gerade die letzten Drehungen ihres Zigeunertanzes vollführte. Cristóbal Zapata klopfte seinem Sohn stolz auf den Rücken. Obwohl er sich nicht als gläubiger Mensch betrachtete, hatte ihm das Büßergewand immer Respekt eingeflößt.
»Bring uns noch zwei Gläser«, bat er den Wirt mit schwerer Zunge.
»Es ist Feierabend«, antwortete dieser kurz angebunden und wies dann La Niña Candela an, sie zur Tür zu bringen.
Cristo musterte das Mädchen von oben bis unten und zwinkerte ihr zu. Sie tat, als hätte sie es nicht gesehen, und schob sie zum Ausgang. Als sie draußen waren, schlug sie die Tür hinter ihnen zu.
Es begann zu regnen, und Vater und Sohn gingen Arm in Arm durch die ersten Tropfen. Cristóbal hatte zu viel getrunken und wankte beträchtlich. Als sie fast zu Hause waren, blieb er unvermittelt stehen, um in den Taschen nach dem Schlüssel zu kramen. Plötzlich hörten die beiden Zweige rascheln. Sie blickten nach oben und sahen, wie das Fenster von Julitas Schlafzimmer geschlossen wurde. Der Druckermeister und sein Sohn versteckten sich gerade noch rechtzeitig in der Tür, um zu sehen, wie ein Schatten den Orangenbaum hinunterkletterte. Bei diesem Anblick wurde Cristóbal schlagartig nüchtern.
»Ein Einbrecher«, flüsterte er.
»Das glaube ich nicht, Vater«, wisperte Cristo. »Es sah eher aus wie Abel de Montenegro.«
Cristóbal Zapata war für einen Moment verwirrt. Er begriff nicht, was der Sohn des Piraten um diese Uhrzeit im Zimmer seiner Tochter zu suchen hatte. Doch dann wurde ihm schlagartig klar, was sein Sohn mit dieser Bemerkung gemeint hatte. Er schluckte mühsam seine Wut hinunter, während er spürte, wie der Hass in seinen Adern aufloderte. Alle Frauen in seinem Leben hatten ihm übel mitgespielt. Zuerst Doña Julia und jetzt seine Tochter. Seine eigene Tochter … Oh nein, das würde er nicht zulassen. Sie gehörte ihm. Es kam gar nicht in Frage, dass sich sein eigen Fleisch und Blut mit Leóns Blut vermischte. Das würde er nicht zulassen.
»Lieber sehe ich sie tot als in den Armen von Abel de Montenegro«, entfuhr es ihm verzweifelt.
Er stürmte die Treppe im Haus seiner Schwiegereltern hinauf, wobei er sich an den Wänden und am Handlauf abstützen musste. Wutentbrannt stürzte er durch den Flur, taub und blind vor Zorn. Den Blick vor Hass verschleiert, hörte er nur sein eigenes Herz rasen. Als er die Zimmertür seiner Tochter aufriss, wollte diese gerade zu Bett gehen. Sie erstarrte in der Bewegung. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, riss ihr Vater ihr die Bettdecke weg. Dann packte er seine Tochter am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her, bis sie mitten im Zimmer stand.
»Wer war dieser Mann?«, brüllte er.
»Welcher Mann?«
»Stell dich nicht dumm. Wir
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