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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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hatte sein Kursleiter ohne die geringste Ironie, sogar voller Stolz erklärt:
«Die Psychotherapie, Laurence, ist die Religion des neuen Jahrtausends. Und wir sind ihre Priester.»
Seine Stimme hatte nach ein paar Gläsern in dem Weinlokal beim College vor Selbstgefälligkeit getrieft.
«Jeder Mensch braucht eine Kirche. Einen Beichtvater. Vergebung.»
Dieser Kursleiter, dieser Hohepriester, war jünger als Lol, vielleicht vierunddreißig.
    «Also gut!» Prof Levin hatte sich endlich ein paar Schritte zurückgezogen. «Wir reden ein andermal darüber. Fürs Erste machen wir einfach das Album.»
    «Album?»
    Prof hatte großzügig die Arme ausgebreitet. Mit seinem eigenen Studio konnte er solche Entscheidungen schließlich treffen, ohne zuvor mit irgendeinem Anzugträger verhandeln zu müssen.
    Lol hatte ihm für das Angebot gedankt – und zwar sehr, denn wenn Prof ein Album für einen produzierte, war das so ungefähr, als würde Spielberg das Drehbuch verfilmen, das man gerade geschriebenhatte – doch dann wies er darauf hin, dass er nur vier Songs hatte, und das reichte kaum für ein
halbes
Album.
    Aber Prof hatte ihn nur glückselig durch seinen Nagelbürstenbart hindurch angelächelt.
    «Du hast noch den ganzen Sommer Zeit, mein Sohn. Dieser Sommer gehört dir.»
    Und dann war er in sein Zimmer im angrenzenden Cottage gewatschelt und hatte es Lol überlassen, sämtliche Geräte auszuschalten, bevor er in sein Feldbett auf einem der alten Heuböden kletterte.
    Aber wie sollte er nach dieser Szene schlafen?
    Also war er ins Freie gestolpert und durch die warme Nacht gegangen, um mit dem Frome Zwiesprache zu halten. Doch der Fluss hatte schon geschlafen, und so war er auf dem Pfad gelandet, der an einer Pappelreihe entlang bis fast zu der Hopfendarre führte. Über Lol verdeckte das Laubwerk der Bäume den Himmel, und ihm wurde bewusst, dass ein hoher, bohrender Summton in der Luft lag, der zu sagen schien:
Jeder braucht eine Kirche. Einen Beichtvater. Vergebung
.
    Das war nicht gerade der beste Vergleich, mit dem man Lol kommen konnte. Er hatte als Teenager miterlebt, wie sich seine Eltern einer neuen Religion zugewandt und sich von einem dubiosen Fundamental-Evangelikalismus hatten mitreißen lassen, sodass sie schließlich das gottlose Kind verstoßen hatten, das diese Teufelsmusik spielte. Das Kind, das sich immer daran erinnern würde, wie es einmal am Wochenende nach Hause gekommen war, um festzustellen, dass die beiden eingerahmten Babyfotos von ihm auf dem Kamin durch gerahmte Jesus-Postkarten ersetzt worden waren. Und damit hatte sie vermutlich angefangen – die Entfremdung.
    Aber dann – und zwar erst letztes Jahr – hatten sich die Dinge überraschend entwickelt. Lols Ängste und Vorbehalte der Kirchegegenüber waren erheblich geschwächt worden, weil er eine Pfarrerin namens Merrily Watkins kennengelernt hatte, die – wie es der Zufall wollte – weniger als dreißig Kilometer von Prof entfernt lebte und arbeitete   … aber falls das ein weiterer Grund für ihn gewesen war, nach Herefordshire zurückzukommen, würde er es niemals zugeben, schon gar nicht vor sich selbst. Ihrer letzten Begegnung waren so düstere Ereignisse vorausgegangen, dass sie vermutlich nicht daran erinnert werden wollte.
    Lol spürte einen stechenden Schmerz unterm Knie und blieb stehen. Er war außer Atem. Ihm wurde klar, dass er gerannt war, so wie er es gelegentlich tat, um irgendeinem Dilemma oder einer Entscheidung zu entkommen, die er eigentlich fällen sollte. Er musste von dem Pfad abgebogen sein und stand nun in irgendeinem Wäldchen bis zu den Knien in dornigen Brombeerranken.
    Falsche Richtung eingeschlagen. Das konnte einem hier auch bei Tag leicht passieren, selbst wenn man dachte, man würde die Gegend einigermaßen gut kennen. Als er sich inmitten dieses unbekannten, nicht bewirtschafteten Waldes voll knorrigem Weißdorngehölz aus den stacheligen Ranken zu befreien versuchte, hörte er sein T-Shirt reißen, und er blieb kopfschüttelnd stehen.
    Mal wieder verirrt. Das Motto seines Lebens.
    Knight’s Frome war ein Weiler mit weitverstreuten Gebäuden ohne rechtes Zentrum, es gab also keine traulich blinkenden Lichter um einen Marktplatz, nach denen er hätte Ausschau halten können. Und der Fluss war auch nicht zu hören. Nur das Summen: dieser klagende Ton, der sich hob und senkte und wieder anschwoll, als versuchte eine Melodie sich zu befreien.
    Lol drehte sich um, ging den Weg zurück, den er gekommen

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