Der Turm der Seelen
soll?»
«Sie hat eine Vorstellung davon, ja.»
«Wo?»
«In der Nähe von Birmingham. Dort wurde Amy geboren. Und dort ist ihre Mutter gestorben.»
«Und das weiß Amy?»
«Wir vermuten es.»
«Von …»
«Ursprünglich von den sogenannten Botschaften, die sie bekommen hat.»
«Die Botschaften dieses Geistes?»
«Ganz gleich, woher sie eigentlich kamen, sie waren unglaublich präzise. Und deshalb mussten wir ihr schließlich erzählen, wo sie herkam. Und was mit ihrer Mutter passiert ist.»
Merrily sagte: «Glauben Sie, dass Sie das auch
mir
erzählen können?»
Sie war als Amy Jukes in Tipton im Black Country geboren worden. Ihre Eltern hatten sogar noch vor dem freudigen Ereignis geheiratet. Jedenfalls so gut wie.
Justine war siebzehn, als Amy auf die Welt kam, und noch kein Heroin-Junkie. Sie kam aus einer bürgerlichen Familie und wollte nach ihrem Schulabschluss Medizin studieren. Das wurde jedenfalls dem Gericht erzählt.
Der Vater, Wayne Jukes, war zweiundzwanzig und ‹Mitarbeiter des Managements› in einem Nachtclub. In dieser Eigenschaft hatte er den Verkauf unterschiedlichster Stimulanzien an die Freier unter sich. Daneben dealte er an Schulen und Colleges ein bisschen mit Pillen, um sich etwas dazuzuverdienen, und dabei lernte er Justine kennen. Wayne trug schicke Anzüge mit Krawatte und war umgänglich und überzeugend. Außerdem hatte er einen Sportwagen von Toyota, also dauerte es nicht lange, bis Justine schwanger war.
Justines Eltern waren natürlich enttäuscht, aber sie hielten Wayne doch für vorzeigbar, und außerdem hatte er ja anscheinend eine vielversprechende Manager-Position inne. Sie unterstützten Justine und Wayne beim Kauf einer kleinen Doppelhaushälfte, sodass für die Ankunft des Babys alles geregelt war.
David Shelbone kannte all diese Einzelheiten von den Beamten der Sozialfürsorge im Black Country und in Hereford. Er hatte sich sogar die Mühe gemacht, an die amtlichen Berichte und die Zeitungsartikel über das Gerichtsverfahren zu kommen. Natürlich hatte er diese Unterlagen vernichtet, bevor Amy lesen lernte. Er hatte sogar Justines Eltern ausfindig gemacht. David war sehr gründlich; er wollte alles in Erfahrung bringen, was Hazel und ihm helfen konnte, Amy besser zu verstehen.
Justine war noch sehr jung gewesen, hatte dieses Baby eigentlich nicht gewollt und fand es schrecklich anstrengend, sich darum zu kümmern. Ganz besonders, weil Wayne die meistenAbende außer Haus war, um seinem Managerjob nachzugehen. Justine, die mit dem Säugling allein zu Hause festsaß, hatte schon bald Depressionen bekommen, also hatte ihr Wayne Jukes gelegentlich etwas gegeben, damit sie sich besser fühlte. Manchmal blieb er sogar einen ganzen Abend bei ihr.
Sie hielten sich für unheimlich cool, dachten, sie stünden über allem. Das dachten sie, weil er schließlich in diesem Geschäft tätig war, und das bedeutete doch irgendwie, dass er alles unter Kontrolle hatte. Außerdem waren sie jung, viel zu jung, um sich vorzustellen zu können, dass es im Leben auch mal richtig schlecht laufen kann. Wer jung war, den konnte nichts umwerfen.
Es dauerte lange, bis Justines Eltern mitbekamen, was da passierte. Inzwischen verbrauchte Wayne selbst schon mehr, als er verkaufte, und deswegen verlor er auch seinen Job in dem Nachtclub, denn er war unzuverlässig und leichtsinnig geworden, ein Risiko.
Und dann konnten sie die Raten für das Haus nicht mehr bezahlen, und das Baby schrie zu viel, und Justine fing an sich zu beklagen – sodass es Wayne irgendwann angebracht fand, ihr gelegentlich einen kleinen Klaps zu verpassen.
David Shelbone erzählte die Geschichte in seiner ausdruckslosen, zögernden Art, doch Merrily sah sie in körnigen Dokumentarbildern vor sich, hörte die Stimmen, spürte den dröhnenden Kopf, die ganze schmerzende, blutende, schluchzende Realität dieser ‹kleinen Klapse›.
Dann folgte ein riesiger Streit mit Justines Familie, und die beiden verkauften das Haus und nahmen sich eine kleine Wohnung in einer heruntergekommenen Gegend, am Ende einer dieser Straßen, die sich als Aneinanderreihung schäbiger Autowerkstätten und Wettbüros, schmieriger Imbisse und trostloser Pubs endlos hinziehen.
Ganz am Ende stand eine Kirche, früher eine stattliche Gemeindekirche,als dies noch eine Dorfstraße gewesen war, aber inzwischen bestand die Gemeinde nur noch aus ungefähr sieben Rentnern. Manchmal, wenn Wayne eine von seinen Launen hatte, zog sich Justine
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