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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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mit dem Baby in diese Kirche zurück.
    Das bedeutete eigentlich an den meisten Tagen, denn mittlerweile trank Wayne auch ziemlich viel. Er hatte in einem der trostlosen Pubs neue Freunde gefunden, und Justine fand es besser, entweder nicht da zu sein, wenn Wayne nach Hause kam, oder aber komplett zugedröhnt.
    Abends war es natürlich am schlimmsten. Eine Nachbarin, die in der Kirche putzte, machte sich Sorgen um Justine und gab ihr einen Schlüssel zum Seiteneingang neben der Sakristei, und an manchen Abenden kam Justine mit ihrem Baby und einem Tranchiermesser, für den Fall, dass schon jemand da war.
    Und eines Abends war wirklich jemand da.
    Wayne hatte sich schon seit längerem gefragt, wo Justine war, wenn er sie beim Nachhausekommen vermisste, weil er etwas Bestimmtes mit ihr vorhatte. Also hatte er den Pub eines Abends zwanzig Minuten früher verlassen als sonst, hatte in einem heruntergekommenen Hauseingang auf der anderen Straßenseite auf sie gewartet und war ihr gefolgt, als sie mit dem Kind aus dem Haus kam. Am nächsten Tag entdeckte er den Schlüssel zur Kirche in der Gesäßtasche von Justines Jeans und ließ sich einen Nachschlüssel machen.
    Und an diesem Sommerabend kam Justine mit Amy in die Kirche, und Wayne lauerte ihnen hinter dem verstaubten, mottenzerfressenen Vorhang der Sakristei auf.
    Es hätte anders ausgehen können, wenn Justine nicht am Nachmittag einen kleinen Handel mit einem Typen gemacht hätte, den sie mit Wayne in dem Nachtclub kennengelernt hatte – einem Typen, der ihr etwas gegen ihre Probleme gab. Und wenn Justine sich dieses Etwas nicht in den Arm gespritzt hätte, bevorsie aus dem Haus gegangen war. Wenn sie richtig wach und auf Überraschungen gefasst gewesen wäre, dann hätte es ebenso gut wieder mit ein paar kleinen Klapsen ausgehen können.
     
    «Und Amy hat das alles gesehen?», sagte Merrily. «Wie alt war sie damals?»
    «Fast drei.»
    «Meine Güte, das ist alt genug, um alles mitzubekommen. Auch wenn sie keine bewusste Erinnerung hat, ist alles in ihrem Kopf.»
    «Die Leute von der Sozialfürsorge haben sehr sorgfältig geprüft, zu wem sie kommt», sagte David Shelbone. «Die Großeltern wollten sie nicht, sie hatten kurz zuvor eine ältere Verwandte zu sich genommen, und na ja   …»
    «Mmm.»
    «Es war natürlich ein Sonderfall. Sie wollten das Kind ganz aus der Region haben, und wir waren erfahrene, zuverlässige Pflegeeltern. Man ist an uns herangetreten, hat uns die Umstände erläutert. Wir sind auf alles vorbereitet worden.» Er verfiel in Schweigen.
    «Und?»
    «Es ist nichts Beunruhigendes passiert. Nie. Es gab überhaupt keine besonderen Probleme – und glauben Sie mir, Hazel und ich sind früher mit ziemlich schwierigen Kindern fertiggeworden. Aber Amy hat sich sogar erstaunlich schnell eingelebt. Sie hatte nicht mehr Albträume als andere Kinder auch. Es gab nichts, was auf unbewusste Erinnerungen an eine Gewalterfahrung hindeutete. Sie war immer ein sehr ausgeglichenes, wenn auch sehr ernstes Kind. Unsere Tochter. Wir wollten beide schon bald, dass sie für immer bei uns bleibt und unsere Tochter wird, falls das möglich wäre.»
    «Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass sie sich an etwas erinnern konnte?»
    «Nicht bis   … Ich meine, ich habe mich manchmal schon gefragt, ob ihre ernste und ziemlich   … starre Lebenshaltung eventuell ein Ausdruck für das unbewusste Bedürfnis ist, das Chaos ihrer frühen Kindheit auszugleichen. Aber richtige Sorgen habe ich mir deshalb nicht gemacht, und Hazel war immer dagegen, Amy einer psychiatrischen Untersuchung auszusetzen. Es hat uns natürlich gefreut, als sie sich – ohne von uns gedrängt worden zu sein – schon sehr früh für den christlichen Glauben zu interessieren begann. Hazel war davon überzeugt, dass Amy darin viel eher Trost finden könnte, wenn sie jemals welchen notwendig haben würde, als in irgendeiner Psychotherapie.»
    Merrily dachte daran, wie Hazel Shelbone reagiert hatte, als sie ihr gesagt hatte, dass eine psychiatrische Untersuchung notwendig war, bevor ein Exorzismus durchgeführt werden konnte.
    «Was haben Sie Amy gesagt, als sie nach ihren richtigen Eltern gefragt hat?»
    «Wir haben ihr erzählt, dass es einen Unfall gegeben hätte, soweit wir wüssten, und das hat sie niemals hinterfragt. Wir wussten, dass wir ihr vielleicht eines Tages die volle Wahrheit würden erzählen müssen, aber wir wollten das erst tun, wenn sie alt genug wäre, um diese Wahrheit auch zu

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