Der Turm der Seelen
starr vor Schreck.
«Und Layla hatte echt guten Grund, diese Familie abzuschießen. Es war nämlich Shelbones Alter, ihr
Adoptiv -Alter
, der Layla den Spaß auf dem Weihnachtsbasar verdorben hat.»
«Da war ich nicht. Ich war krank.»
«Ich sag’s dir, Jane, das war echt gruslig, mit was für Zeug sie rübergekommen ist. Wenn sie dieses Zigeunerinnenzeug anhat, ist sie echt wie ein anderer Mensch. Hätt mir von ihr garantiert nie die Zukunft voraussagen lassen. Aber darum geht’s auch nicht. Es geht darum, dass der alte Shelbone dafür gesorgt hat, dass sie aufhören muss, weil das angeblich unchristlich wär. Also findet Layla, die Shelbones kriegen jetzt bloß ihre gerechte Strafe, und zwar so richtig. Zigeuner vergessen nie, weiß man doch. Und sie hat mir vorher ein paar Mal geholfen, meistens mit Geld, versteht ihr? Also konnt ich nicht nein sagen.»
«Als du ihr mit dem Ouija-Brett helfen solltest?»
«Aber irgendwann ist mir klar geworden, dass die Kleine davon irre wird, aber so richtig.»
Merrily betrachtete den Wasserfall aus Glas, in dem Allan Henry wohnte. Sie überlegte, ob sie aussteigen und einen meditativen Spaziergang mit Zigarette unternehmen sollte. Vielleicht übersah sie ja etwas Wesentliches.
«Und welche Rolle spielt die Mutter bei der ganzen Sache?», fragte sie unvermittelt.
«Sandra Henry», sagte Sophie. «Sandra Riddock.»
«Sie kennen sie?»
«Nicht persönlich, aber sie hat in einem Immobilienbüro gearbeitet, in dem meine Schwester eine Zeitlang Abteilungsleiterin war. Dort hat Sandra Henry kennengelernt. Über diese Immobilienfirma wurde eines seiner ersten hingepfuschten Siedlungsbauprojekte abgewickelt. Sandra war anscheinend eine echte Schönheit. Und wie mir jetzt wieder einfällt, hat meine Schwester einmal gesagt, dass damals niemand etwas von ihrem Kind wusste.»
«Der Vater war Zigeuner, sagte Jane.»
«Das weiß ich nicht. Aber Sie haben recht – mich würde esauch interessieren, ob Sandra Henry über die Hobbys ihrer Tochter im Bilde ist.»
«Ich frage mich, ob sie jetzt wohl zu Hause ist. Und ob Layla weg ist, zum Beispiel angeblich bei Freunden übernachtet.»
Sophie straffte sich. «Unter welchem Vorwand würden wir ihr denn einen Besuch abstatten können?»
«Wir? Also, ich müsste mich an die Wahrheit halten. Ich bin Gemeindepfarrerin. Ich habe gerade herausgefunden, dass meine Tochter in irgendwelche Experimente verwickelt war, bei denen mit den Toten Kontakt aufgenommen werden sollte, und zwar zusammen mit Mrs. Henrys Tochter und einem Mädchen, das einen Selbstmordversuch unternommen hat. Als Pfarrerin macht mir das alles natürlich große Sorgen. – Wie wird sie reagieren? Wird sie mich auslachen, mich rauswerfen?»
«Sie würden Jane für Ihre Zwecke benutzen.»
«Ich benutze Jane
nicht
. Jane hat mir ja nicht mal etwas davon erzählt. Das hat Dennis Beckett getan.»
«Also gut.» Sophie ließ den Motor an. «Suchen wir den Anfang der Zufahrt. Wie ich gehört habe, liegt er etwas versteckt. Ich sage übrigens nicht
Auf Ihre Verantwortung
, wir machen es auf unsere gemeinsame Verantwortung.»
«Sie sind eine Wucht, Sophie.»
«Ach, reden Sie keinen Unsinn.» Sophie fuhr sehr langsam den Hügel hinunter. Es war vollkommen still, es gab in der Nähe weder andere Wohnhäuser noch Bauernhöfe. Nicht mal eine Kuh oder ein Schaf graste auf dem Hügel. Und wenn sich Merrily nicht täuschte, war kein einziges Auto vorbeigekommen, solange sie dort oben am Straßenrand gestanden hatten.
«Legt anscheinend gesteigerten Wert auf Privatsphäre.»
«Offenbar.» Sophie hielt an einer schmalen asphaltierten Einfahrt. «Glauben Sie, hier ist es?»
«Versuchen wir es.»
Sophie fuhr in die Einfahrt. Sofort befanden sie sich in den tiefen Schatten hoher Bäume. Nach etwa fünfzig Metern kamen sie zu der Umfassungsmauer. Zwei hohe Pfosten aus Backstein umrahmten ein zweiflügeliges Metalltor. Es stand offen. An dem linken Torposten hing ein Schild, auf dem in gelben Lettern auf schwarzem Grund stand: UNBEFUGTEN IST DER ZUTRITT VERBOTEN.
«Wahrscheinlich hat er auch irgendwo Überwachungskameras installiert», sagte Sophie. Sie fuhren an einem kleinen Bungalow vorbei, neben dem ein Kombi parkte. «Hier wohnt wohl die Dienerschaft. Ob wir uns anmelden müssen?»
«Ist niemand zu sehen. Fahren Sie einfach weiter.»
Zur Linken tauchte zwischen den Bäumen eine Lichtung auf. Sophie bremste.
«Guter Gott. Entweder ist das ein Nachbau oder ein
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