Der Turm der Seelen
angeblich irgendwas renoviert, aber in Wirklichkeit schlägt er nur die Zeit tot und trampeltauf dem rum, was von meinen Nerven noch übrig ist. Ich sag euch, wenn man am Arsch der Welt wohnt und nur einen Nachbarn hat, ist es, als säße man im Gefängnis und müsste sich mit irgendwem die Zelle teilen. Das werdet ihr schon noch selber merken, wenn ich erst mal nicht mehr da bin.»
Lol lächelte. Prof sagte immer,
wenn ich erst mal nicht mehr da bin
, als ob er mit seinem baldigen Ableben rechnete. Stattdessen jedoch würde er ins Abbey Road Studio fahren, um das langerwartete, vierte Soloalbum seines alten Freundes, der Blues-Guitar-Legende Tom Storey, zu produzieren. Lol hatte sich damit einverstanden erklärt, das Studio zu hüten, solange Prof unterwegs war – er wusste, dass Prof ihn auf diese Art zwingen wollte, an seinem eigenen Solo-Album zu arbeiten, das allerdings keineswegs von irgendjemandem seit langem erwartet wurde.
Es klopfte an der Hintertür. Ein Mal. Prof deutete mit dem Daumen auf den Flur. «Und wenn du Stock doch mal hier reinlässt, während ich weg bin, lässt du ihn keinen einzigen Akkord spielen oder irgendeinen Schalter am Mischpult anfassen, ist das klar? Das verfüge ich nicht zu meinem Besten so, sondern zu deinem, denn wenn sich dein Album irgendwann mal verkauft, schwört er Stein und Bein, dass er es koproduziert hat. Hab ich recht, Simon?»
Simon kam träge auf die Füße. Er trug abgewetzte Jeans und ein kragenloses weißes Hemd. «Du kennst mich doch, Prof. Ich darf von anderen niemals schlecht denken.»
Prof wandte sich Lol zu. «Wenn die Sache vor Gericht landet, ist dieser Mann hier dein Hauptzeuge. Er ist zwar kein so guter Bassist mehr wie früher, aber zum Ausgleich dafür liebt ihn sein Gott jeden Tag mehr.»
Simon St. John lächelte, sagte aber nichts. Anscheinend konnte ihn nichts beleidigen, was Prof über ihn sagte. Er hörte es sich einfach an, ohne darauf zu reagieren. Simon hatte sich vermutlichnicht sehr verändert und in den letzten zwanzig Jahren auch bestimmt kein Gramm zugenommen. Er schien genau zu wissen, wer er selbst war, und sich damit wohl zu fühlen. In seiner Gesellschaft kam sich Lol unsicher und ziellos vor.
«Na gut, lassen wir den Mistkerl rein», sagte Prof schicksalsergeben. Dann grinste er Lol an. «Ich tue dir den Gefallen und sorge dafür, dass er dich von Anfang an uninteressant findet.»
Prof hielt Wort. Er reichte Gerard Stock einen Becher mit lauwarmem Tee und machte eine Kopfbewegung in Lols Richtung.
«Gerry, dieser Typ da ist Lol Robinson. Hat früher mal in einer unbekannten Band gespielt. Inzwischen ist er Psychotherapeut.»
Lol seufzte. Er rieb seine Brillengläser zwischen dem Stoff seines T-Shirts sauber, sodass Gerard Stock nur als blauverschwommener Umriss vor ihm stand, doch er spürte den Blick des Typen auf sich wie ein feuchtes Tuch. Stock stieß ein heiseres Lachen aus.
«Tja, so jemand haben wir wohl alle schon mal nötig gehabt, vermute ich.»
Lol setzte seine Brille wieder auf. Stocks Stimme hatte ihn überrascht. Ein leichter Akzent verriet, dass er aus Westengland stammte, aber seine Aussprache war kultiviert und deutete auf eine Herkunft aus der oberen Mittelschicht hin. Stock hatte einen intelligenten, klaren Blick und rosige Lippen inmitten seines Vollbartes.
«Ich bin in Amerika mal sechs Monate zur Therapie gegangen», sagte Stock. «Hat mich total verkorkst.» Er lachte wieder. Seine Augen funkelten herausfordernd.
Lol nickte. «Das kann passieren. Eine Therapie ist nicht für jeden das Richtige.»
Stock trank einen Schluck Tee. «Und für welche Sorte Menschen ist sie nicht das Richtige?»
«Fang bloß nicht an ihn auszufragen», fuhr Prof dazwischen. «Sonst stirbst du bei seinem Psycho-Gequatsche vor Langeweile. Was können wir für dich tun, Gerry? Ich will wirklich nicht hetzen, aber wir müssen diese Anlage aufbauen und zum Laufen bringen. Zeit ist Geld in diesem Geschäft, das muss ich dir ja nicht erzählen.»
«Ganz bestimmt nicht, Prof», sagte Stock. «Eigentlich wollte ich auch nur kurz mit dem Vikar sprechen.»
Prof sagte nichts, Stocks Kommentar hatte ihn aus dem Konzept gebracht.
«Mich?», sagte Simon ebenso überrascht.
«Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben.»
«Natürlich.» Simon zuckte mit den Schultern. «Ich wollte sowieso gerade los. Ich sollte mich besser um meine Schäfchen kümmern, statt hier Tee zu trinken. Ich hole eben noch meine Jacke, dann können wir
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