Der Turm der Seelen
Moment, um darüber nachzudenken. «Na ja, auf mich … wirkte sie wie eine sehr
junge
Vierzehnjährige, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie trug ihre Schuluniform, was heutzutage außerhalb des Schulunterrichts an sich schon ungewöhnlich ist.»
«Das stimmt.» Janes Schuluniform schien sich in dem Moment in Luft aufzulösen, in dem sie nach Hause kam.
«Ich erkläre Ihnen, was ich an der Sache für das Wichtigste halte», sagte Dennis. «Offenbar haben die Eltern Amy ganz speziell deshalb zur heiligen Kommunion geschleppt, weil sie sich Sorgen um ihre spirituelle Gesundheit gemacht haben. Im altmodischen Sinne des Wortes.»
«Und der wäre?»
Dennis zögerte und sagte nach einem Seufzer: «Das bedeutet, dass sie jetzt um etwas bitten, das ich nur sehr ungern selbst tun würde.»
Als Merrily in die Küche hinüberging, richtete Ethel, die auf einer breiten Fensterbank in der Sonne lag, ihren trägen Blick auf sie.Keine Spur von Jane. Vermutlich war sie in ihr Apartment im ehemaligen Speicher hinaufgegangen. Merrily kehrte in die Spülküche zurück und starrte das Telefon ein paar Sekunden lang an, bevor sie den Hörer in die Hand nahm und Sophie im Torhaus anrief.
«Mit diesem Anruf halte ich mich an das offizielle Verfahren, Sophie.»
«Haben wir denn ein Verfahren?» Die Laiensekretärin des Bischofs, eine treue Dienerin der Kirche und vornehmer als die Queen, saß in ihrem Büro neben dem Exorzismus-Dienstzimmer, von wo aus sie auch die Verwaltungsarbeiten für Merrilys Amt erledigte.
«Wir haben eine Regel. Es gibt nur eine Situation, in der eine feste Regel besteht», sagte Merrily. «Und diese Situation ist eingetreten.»
«Ich verstehe.» Eine winzige Pause folgte, ein hohles Ploppen – Sophie hatte die Kappe ihres edlen Füllfederhalters abgezogen. «Was soll ich dem Bischof sagen? Geht es um einen
Großen
Exorzismus?»
«Es gibt überhaupt keinen Exorzismus, wenn ich es vermeiden kann. Ich vermute, dass die Leute selbst nicht genau wissen, was sie wollen, von ein bisschen emotionaler Unterstützung mal abgesehen. Ich informiere hiermit nur den Bischof, wie es die
Regel
verlangt.»
Jane tauchte in der Tür auf. Sie sah das Telefon an Merrilys Ohr und verdrehte die Augen.
«Entschuldigen Sie, Sophie, ich muss Jane kurz etwas fragen, bevor ihr äußerst begrenztes Zeitbudget überschritten ist.»
«Ich bin sechzehn», murmelte Jane, «aber du erzählst mir immer, ich hätte noch alle Zeit der Welt vor mir.»
«Kennst du ein Mädchen namens Amy Shelbone?»
Jane blinzelte. «Der Name kommt mir jedenfalls bekannt vor.»
«Ich glaube, sie geht in deine Schule.»
«Wirklich?»
«Also ist sie nicht in deiner Klassenstufe?»
«Nein, sie … ich glaube, sie ist ein oder zwei Jahrgänge unter mir.»
«Na gut.» Merrily nickte. «Danke, Spatz.» Es war den Versuch wert gewesen, aber Schüler in Jahrgangsstufen unter der eigenen waren zu uninteressant, um wahrgenommen zu werden. «Da bin ich wieder, Sophie.»
Jane rührte sich nicht. Merrily sah sie an. «Du verpasst noch den Bus.»
«Was hat denn diese Amy Shelbone getan?»
«Geh lieber», sagte Merrily.
Sie wartete, bis sie die Haustür ins Schloss fallen hörte. Ihr Priesterkragen lag mitten auf der hellblauen Schreibunterlage und leuchtete in der Sonne. Sophie würde es missbilligen, dass sie den Kragen bloß wegen der Hitze abgelegt hatte. Schließlich war das Priesteramt für Frauen schwer erkämpft; es war, als würde eine Ex-Suffragette nicht zu den Wahlen gehen, weil es regnete.
«Entschuldigung nochmal», sagte Merrily.
«Ich glaube, Sie können jetzt davon ausgehen, dass sie weg ist», sagte Sophie. «Aber vielleicht möchten Sie Ihr Büro ja sicherheitshalber noch nach Abhörwanzen durchsuchen.»
Bestimmt missbilligte Sophie es ebenfalls, dass Merrily ihre Tochter nach Amy Shelbone gefragt hatte.
Nach dem Telefonat schaute Merrily eine Zeitlang von ihrem Schreibtisch aus in den Garten zu den Apfelbäumen. Sie dachte an Pfarrer Nicholas Ellis, den fundamentalistischen Eiferer, der den Begriff
Seelsorge
allzu frei interpretiert und, ohne jemals den Bischof zu konsultieren, Exorzismen durchgeführt hatte, wie Ärzte Antibiotika verschrieben.
Aber wenigstens war Ellis von seinem Tun überzeugt, er besaß vollkommenes Vertrauen nicht nur in Gott und Seine HimmlischenHeerscharen, sondern auch in sich selbst als den bewährten Kämpfer, der ebenso gut das Schwert eines Erzengels hätte führen können. Wie er sie gehasst
Weitere Kostenlose Bücher