Der Turm der Seelen
also interessieren Sie sich vielleicht gar nicht für das, was ich Ihnen sagen will. Jedenfalls habe ich mit den Boswells geredet.»
«Ach.»
«Und wir haben beschlossen, dass … etwas getan werden muss.»
«In Bezug auf?»
«In Bezug auf ein bestimmtes Stück Land und das Gebäude daneben.»
«Entschuldigen Sie», sagte Merrily, «aber sind Sie nicht voreiniger Zeit darum gebeten worden, sich dieses Problems anzunehmen? Vor zwei Toden, könnte man auch sagen.»
Sie wartete darauf, dass er auflegte, so wie er es bei Lol getan hatte.
«Ich verstehe Ihren Zynismus», sagte er schließlich.
«So würde ich es nicht unbedingt bezeichnen. Ich bewundere Ihre Fähigkeit, den Leuten zu sagen, wohin sie sich ihre Probleme stecken können. Das ist eine beneidenswerte Eigenschaft bei einem Geistlichen.»
«Also», sagte er, «falls Sie uns unterstützen wollen: Wir treffen uns zwischen zehn und halb elf am Hopfenmuseum.»
«Heute Abend.»
«Heute Vormittag. Es muss um zwölf Uhr mittags gemacht werden.»
«Was?»
«Al und ich sind der Meinung, dass hier ein … individuelleres Verfahren angebracht ist. Auch die Roma haben eine überlieferte Form des Exorzismus. Ich glaube, sie haben einen Ausdruck dafür, der Seelenrettung bedeutet, aber genau erinnere ich mich nicht.»
Ein Schatten fiel über den Schreibtisch. Merrily drehte sich auf ihrem Stuhl um. Eirion stand hinter ihr. «Oh.» Er ging einen Schritt rückwärts. «Ich wollte nicht …» Sie machte eine beruhigende Geste. Zu Simon St. John sagte sie: «Finden Sie das jetzt nicht ein bisschen überstürzt?»
«Es … Al hat Zustände. Es geht ihm nicht gut. Und ich glaube, ich …»
«Um wie viel Uhr, sagten Sie?»
«Zwölf Uhr.»
«Warum?»
«Weil es so sein muss. Al kann es erklären. Wir wollen uns kurz nach zehn treffen.»
«Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.»
«Schon gut», sagte er. «Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihr …»
Und dann legte er auf.
Lol ging ans Telefon, weil er hoffte, es wäre Merrily. Er hatte es aufgegeben, sie im Pfarrhaus anrufen zu wollen. In der Nacht, beziehungsweise am Morgen, hatte er vergessen, sich ihre Handynummer geben zu lassen. Er hatte nicht geschlafen. Er erlebte an den fernen Ufern der Müdigkeit einen Zustand überwacher Aufmerksamkeit, den er einem Cocktail aus Körperchemikalien zuschrieb, der ziemlich selten gemixt wurde. Manchmal kam er nach einer ganzen Nacht im Studio in diesen Zustand. Danach fühlte er sich immer grauenhaft verkatert, aber jetzt gerade schwamm er in einem schimmernden Meer gesteigerter Wahrnehmungsfähigkeit.
«Guten Morgen, Laurence», sagte Frannie Bliss lebhaft. «Also sind Sie auf. Haben Sie ’n Stift?»
«Nicht bei mir.»
«Gut. Dann holen Sie sich auch keinen.» Im Hintergrund hörte Lol Verkehrslärm. Offenbar war Bliss draußen und telefonierte mit dem Handy. «Das war eine Nacht, was? Was hält Merrily von dem Ganzen?»
«Ich habe seit ein paar Stunden nicht mehr mit ihr gesprochen.»
«Na gut. Ich bearbeite diesen Fall ohnehin nicht. Also lassen wir das lieber. Ich bin heute ziemlich früh ins Büro gegangen, konnte nicht schlafen … der verdammte Vollmond. Und da hab ich darüber nachgedacht, was Sie über Mrs. Stock gesagt haben. Also hab ich mir nochmal Stocks Computer vorgenommen, den hatten wir ja bei der Tatortsicherung mitgenommen. Unglaublich, was so ein Computer einem alles über den Besitzer sagen kann. Ich hab also mal auf seinem Internetbrowser auf ‹Verlauf› geklickt, und schon bekomme ich die Webseiten geliefert, dieStock und seine bessere Hälfte in den letzten Monaten oder so besucht haben. Und jetzt raten Sie mal, welches Thema einen von ihnen oder alle beide in den letzten Wochen hauptsächlich interessiert hat.»
«Zigeuner?»
«Sie sind wirklich auf Draht heute Morgen, Kumpel. Also, es wurden mehrere allgemeine Seiten über Zigeuner besucht. Das wusste ich aber schon, und besonders außergewöhnlich war das eigentlich nicht, weil sich ja auch Mr. Ash dafür interessiert hat. Aber dann ist mir etwas anderes aufgefallen. Entweder Mr. oder Mrs. Stock haben diese allgemeinen Seiten mehrfach besucht, um von dort aus speziellere Links aufzurufen. Themenkreis Zigeuner und Tod, könnte man sagen. Bestattungsriten der Zigeuner, ruhelose Tote, böse Geister.»
«Und der
Mulo
?»
«Genau. Die Untoten. Mit so einem will man es wirklich nicht zu tun bekommen. Die weibliche Version scheint ja am Anfang noch ganz in
Weitere Kostenlose Bücher