Der Turm der Seelen
zu beeindrucken, naiv …»
«Wird sie wegen Mordes angeklagt?»
«Ich wüsste nicht, wie man das umgehen könnte.»
Einen Moment lang erschreckte sie der Gedanke an die Vergleichbarkeit zwischen diesem Mord und Stocks Mord an seiner Frau. Bei genauerer Betrachtung waren die Ähnlichkeiten nicht so groß, denn die Roma-Tradition spielte für Amy Shelbone kaum eine Rolle. Für einen Außenstehenden jedenfalls wäre das auffälligsteBindeglied zwischen den beiden Fällen sie selbst: ihr gescheiterter Exorzismus.
«Es ist furchtbar», sagte Eirion. «Layla Riddock war ungefähr so alt wie ich, und sie war …» Tränen standen in seinen Augen. «Sie war offenbar unheimlich intelligent. In einem Moment hat sie noch total cool die Situation analysiert, und im nächsten hat sie Blut gehustet, und dann … Was für ein unnötiger Tod, was für eine Vergeudung, ich weiß, das klingt abgedroschen, aber …»
«Eirion», sagte Merrily. «Du bist wirklich ein netter Kerl. Du riskierst Krach mit deinen Eltern, weil Jane eine von ihren Launen hat …»
«Nein, tue ich nicht.» Er starrte sie an. «Sondern weil ich mit Jane schlafen wollte und es auch getan habe!»
Er sackte auf seinem Stuhl zusammen.
«Ich verstehe», sagte Merrily sanft.
«Gestern Nacht … Abend, besser gesagt. Es war das erste Mal. Deshalb sind wir erst so spät zu den Shelbones gekommen. Wir sind eingeschlafen. Das ist auch noch so etwas – die Strafe. Wenn wir nicht … wenn wir früher losgefahren wären, dann würde Layla vielleicht jetzt noch leben. Es ist die Strafe.»
«Ganz bestimmt nicht.» Auf einmal musste Merrily einen Lachreiz unterdrücken. Sie hatte oft darüber nachgedacht, was sie sagen würde, wenn diese Situation eintrat. Und trotzdem wusste sie jetzt nicht, was sie sagen sollte. Außer: «Also … danke, dass du mir das erzählt hast.»
«Es tut mir leid», sagte Eirion.
«Weißt du, es ist nicht …»
«Ich liebe Jane wirklich, verstehen Sie?»
«Ja. Diesen Eindruck hatte ich auch schon.»
«Und es war kein … Gelegenheitssex. Ich bin auch nicht so der Gelegenheitstyp.»
«Nein?»
«Ehrlich gesagt, war es … das erste Mal.»
«Ja, das hast du schon gesagt.»
«Nein, ich meine für mich. Für mich auch.»
«Ich verstehe. Weiß Jane das?»
«Na ja», sagte er, «das ist vermutlich nicht ganz der Eindruck, den ich ihr vermittelt habe.»
«Von mir hört sie es nicht.»
«Danke, das ist sehr nett von Ihnen.»
«Aber … pass gut auf sie auf. Verstehst du, was ich meine?»
«Ich glaube schon.»
«Als ich schwanger wurde, war ich nur ungefähr drei Jahre älter als du, deshalb neige ich dazu, mich an das Sprichwort von dem Glashaus und den Steinen zu halten.»
Er lächelte zögernd. Auf dem Regal neben dem Aga-Herd piepte Merrilys Handy.
«Entschuldige.»
Sophie klang erkältet.
Allerdings war Sophie nie erkältet, nicht mal im Winter.
«Ich fürchte, der Bischof ist zurück», sagte sie.
«Schön», log Merrily und ging mit dem Handy zum Fenster.
«Wir haben gerade einen Anruf vom Presseamt der Kirche von England bekommen, wo man von gewissen Nachfragen der Polizei von West Mercia und auch der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die kirchlichen Richtlinien bei Exorzismen erfahren hat. Wissen Sie irgendetwas darüber, Merrily?»
«Nicht das Geringste.» Merrily sah in den Pfarrhausgarten hinaus. Das war erst ihr zweiter Sommer in Ledwardine, doch ihr kam es vor wie ein halbes Leben.
«Im Presseamt hat man darüber hinaus der Eindruck gewonnen, dass die Polizei von West Mercia in allernächster Zeit eine Verlautbarung herausgeben wird, in der sie ihr Missfallen darüberzum Ausdruck bringt, wie die Kirche von England mit dem Fall Stock umgegangen ist. Unterm Strich wird darin verlangt werden, dass die Kirche leichter für die Konsequenzen dessen zur Verantwortung gezogen werden kann, was als ‹unverantwortliche Amtsausübung Geistlicher› bezeichnet wurde.»
«Aber nimmt das nicht das Ergebnis der amtlichen Untersuchung vorweg? Werden solche Verlautbarungen nicht normalerweise von der Rechtsmedizin herausgegeben?»
«Ich vermute, hier geht es eher darum, dass die Polizei schon im Vorfeld der Kritik begegnen will, die von Seiten der Presse zu erwarten ist. Bis das Ergebnis der amtlichen Untersuchung vorliegt, können Monate vergehen. Auf jeden Fall muss die Diözese jetzt natürlich ebenfalls eine Verlautbarung herausbringen, und deshalb ist noch heute Vormittag ein
Weitere Kostenlose Bücher