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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Klebeetikett heraus und reichte es Lol. «Das habe ich gefunden, als ich nach Hause zurückkam.»
    Er wusste sofort, was es war. Es war das Schild, das man sah, wenn man in das Schallloch einer lieb gewordenen Gitarre spähte. Der heilige Name ‹Boswell› war ziemlich klein darauf gedruckt.
    Sally sagte: «Das ist der Preis, den man zu zahlen hat. Um das Gleichgewicht zu erhalten. Was man sich ausleiht, muss zurückgegeben werden, und wenn nicht die Sache selbst, dann   … etwas Gleichwertiges. Manchmal auch mit Zinsen.»
    Unter dem Namen war ein weiteres Oval eingedruckt, in das gewöhnlich die Seriennummer jedes Instrumentes gestempelt wurde. In diesem Oval aber stand mit Druckbuchstaben:
     
    MEINE LIEBSTE
    VERBRENN
    DEN VARDO
    NICHT
     
    Die Hopfengestelle bestanden aus schrägen Holzstangen von bis zu fünf Metern Höhe, von denen das Teeröl inzwischen abgeblättert war. Die Querhölzer waren an manchen Stangen am oberenDrittel befestigt und verbanden die beiden Seiten der Allee aus Rankgestellen miteinander, sodass sich ein Doppelkreuz bildete. Das nahm Merrily als Zeichen, und sowohl sie als auch Simon standen unter einem solchen Kreuz am Anfang der Allee.
    Al Boswell saß mit gesenktem Kopf am anderen Ende, sechzig oder siebzig Meter entfernt.
    Von einigen Gestellen hingen schlaff tote Ranken herab.
    Mit ihrer Airline-Tasche zu Füßen, schickte Merrily ein Vaterunser in die stehende, leicht feuchte Luft.
    Als sie fertig war, herrschte auf dem Feld eine seltsame Stille, die beinahe absolut zu sein schien. Keine Vögel – daran musste es liegen; wahrscheinlich fanden sie auf dem kahlen Feld nichts zu fressen. Das Hopfenfeld und die angrenzenden Wiesen lagen in einer Senke, um die herum sich die Landschaft zu bewaldeten Hügeln erhob.
    Nur ein einziges Gebäude war von dem Feld aus sichtbar, und zwar das mit dem Hexenhut auf dem Turm.
Soll ich etwa sagen, die Wesenheit ist mit dem Rauch von Rebekahs Verbrennung aus der Hopfendarre entwichen? Wurde sie zusammen mit ihrer Asche auf das Feld gebracht?
    Und
was
war entwichen? Was genau war der Kern der Sache? Wie Simon gesagt hatte, es gab keinen festgelegten Ritus für diese Situation.
    Merrily sah durch die Allee aus Hopfengestellen zu Al Boswell hinüber. Seine Hände waren nun im Gebet erhoben, und er schien etwas zu skandieren, auch wenn Merrily nichts hören konnte. War Als Bewusstsein jetzt in der Unterwelt, der Wohnstatt der Ahnen und der Toten, schacherte er dort mit seinem Vater, dem
Chovihano
, um die Seele Rebekahs? Was hatte er anzubieten? Welchen Preis erwartete er? Merrily spürte, dass sie Angst um Al bekam, weil er aus einer Kultur stammte, die in vielen Dingen vollkommen unerbittlich war.
    Außerdem spürte sie eine Aufgeregtheit und Spannung, die wie kalter Dunst von Simon St.   John ausging. Sie verbannte den Gedanken daran, schloss die Augen und versuchte sich auf ihren Atem zu konzentrieren, ohne den Rhythmus zu verändern.
    In den Händen hielt sie ein dünnes Gebetbuch. Vor ihrem inneren Auge sah sie das Bild Rebekahs in ihrer ärmellosen weißen Bluse. Keine Ohrringe – sie hatte auf den Bildredakteur der Zeitschrift bestimmt auf keinen Fall wie eine Zigeunerin wirken wollen. Das arme Mädchen. Die arme Rebekah, die 1963 als ordinäres Flittchen gegolten hatte, verblendet von ihrer eigenen Sexualität.
    Die ganze Welt verschlingen wollen   … und dann daran ersticken. Merrily ahnte, wie dick und schwarz der nach verbranntem Fleisch stinkende Rauch aus der Hopfendarre gewesen sein musste, der als Folge dieses gewaltsamen Todes den Abhub aus Bösartigkeit wie eine übersinnliche, bakterielle Giftwolke aus dem Gebäude quellen ließ. Und so hatte Conrad Lake auch hier sein Erbe hinterlassen, das Erbe seiner Habsucht und seiner letzten Endes tödlichen Grausamkeit.
    Es ging darum, Rebekahs Seele von all dem zu trennen und sie zum Licht zu führen.
    Merrily schlug die Augen auf, warf einen Blick in ihr Buch und sagte leise: «Gedenke nicht, Herr, unserer Verfehlungen, und auch nicht der Verfehlungen unserer Vorfahren, und verdamme uns nicht für unsere Sünden   … Herr, erbarme dich.»
    «Herr, erbarme dich»
, echote Simon von der anderen Seite der Allee.
    «Christus, erbarme dich.»
    «Christus, erbarme dich.»
    Sie visualisierte Rebekah in dem Darrenhaus, zusammengekrümmt auf dem Boden liegend, die schönen Gesichtszüge fleckig und rot und verzerrt von all dem Husten und Würgen und Keuchen.
    «Himmlischer Vater.»
    «Erbarme

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