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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Glieder weh, aber sie war nicht müde. Immer noch fühlte sie sich schwerelos und unsicher, fast ein bisschen betrunken – aber zugleich fühlte sie sich auch gestärkt. Nach der Dusche wickelte sie sich in ein Handtuch, stellte sich ans Treppenhausfenster und betrachtete die Morgensonne, die aussah wie ein frisch geprägter Penny.
    Von Gott erhoben oder einfach nur durchgeknallt? Im Stand der Gnade oder im Krisenstatus?
    Wenn sie am Vorabend total gestresst gewesen wäre, hätte sie eine Erklärung für das, was passiert war: für den Zusammenbruch in den Armen Gottes, für die Beschleunigung der Zeit, für die Überforderung ihrer Sinne.
    Als wäre ich von Außerirdischen entführt worden.
    Sie lachte und ging sich anziehen.
    Es hatte überhaupt nichts mit Stress zu tun. Es hatte etwas mit der Entscheidung zu tun, eine Münze zu werfen.
    Sie zog ein graues T-Shirt , den Priesterkragen und einen cremeweißen Rock an. Es war Montag, und da war normalerweise nicht viel los. Termine mit dem Bischof in Hereford fanden üblicherweise dienstags statt.
    Mit der Entscheidung, die Münze zu werfen, hatte sie etwas durchbrochen – vermutlich ihren eigenen Widerstand. Schnell ging sie hinunter in die Küche, auf deren Wände die Morgensonne Strichmuster zeichnete. Es war kurz vor acht Uhr. Die Zeit schien immer noch schneller zu vergehen als normalerweise. Merrily musste sich erden.
    Sie ging in die Spülküche und setzte sich an den zerkratzten Mahagoni-Schreibtisch. Sie wollte nicht zu lange warten, bevor sie bei den Shelbones anrief. Sie würde es nur ein Mal probieren, und wenn niemand an den Apparat ging, würde sie hinfahren.
    Sie wusste, dass sie heute ein paar klare Antworten bekommen würde.
    Sie würde um Viertel vor neun anrufen. Also ging sie erst einmal zurück in die Küche, um Frühstück zu machen, doch dann fand sie, dass sie keinen Hunger hatte, und schrubbte stattdessen wie wild die Spüle. Sie musste überflüssige Energie loswerden.
Stell es nicht in Frage. Stell nichts an dieser Sache in Frage
.
    Um kurz nach halb neun, als sie sich gerade die Hände abtrocknete, klingelte das Telefon im Spülküchenbüro.
    «Merrily», sagte Sophie ruhig. «Können Sie herüberkommen?   … So schnell wie möglich?»
    Das war keine Frage.
    «Gibt es Probleme?»
    «Ja», sagte Sophie. «Ich fürchte schon.»
    Merrily zündete sich die erste Zigarette des neuen Tages an.
     
    Nach Hereford zu fahren war der übliche Kampf mit den unvermeidlichen Baustellen und Hunderten von Autofahrern, die einfach nur die Stadt durchqueren wollten. Keinen Kilometer vom Belmont-Kreisverkehr, der südlichen Einfahrt in die Stadt, luden Betonlaster ihre Fuhren auf dem ab, was einmal der grüne Gürtel Herefords gewesen war und was nach der Fertigstellung Barnchurch-Gewerbegebiet heißen würde.
    Inzwischen hatte sich der Himmel bezogen, und es fiel Sprühregen, als Merrily den alten Volvo neben einem Stapel bischöflichen Kaminholzes bei dem Fachwerk-Torhaus abstellte, das der malerischste Teil des Gebäudekomplexes war, aus dem der Bischofspalast bestand. Vom Tordurchgang aus ging der Blick aufdie Broad Street, und in diesem Durchgang befand sich auch die kleine Seitentür, die zu einem engen Treppenhaus führte, über das man zum Büro für spirituelle Grenzfragen kam. Daneben lag das bischöfliche Sekretariat, aus dem Merrily jetzt Stimmen hörte – zwei männliche Stimmen. Sie wusste nicht, worum es ging, und hatte am Telefon nicht fragen wollen, weil Sophie eindeutig nicht allein gewesen war.
    Nun erschien Sophie an der Tür ihres Büros. Sie trug ein ärmelloses, dunkelgrünes Kleid und eine Perlenkette. Sie trug immer Perlen. Und an diesem Morgen ein dazu passendes, blasses Lächeln. Sie trat einen Schritt zur Seite, damit Merrily in das Büro gehen konnte.
    «Ah», sagte der Bischof.
    Der andere Mann, älter und ergraut, sagte nichts, und Merrily erkannte ihn nicht gleich wieder.
    «Wir trinken später einen Tee, Sophie», sagte Bernie Dunmore. Dann senkte er die Stimme. «Den werden wir vermutlich auch nötig haben. Kommen Sie herein, Merrily, und setzen Sie sich. Sie kennen Dennis, oder?»
    Seit ihrem letzten Treffen hatte Kanonikus Dennis Beckett sowohl mehrere Kilo als auch seinen Bart abgenommen. Er wirkte zerfurcht und unglücklich.
    «Dennis?» Merrily setzte sich auf Sophies Stuhl am Fenster, von dem aus man einen Blick über die Rasenfläche vor der Kathedrale und die Broad Street hatte.
    «Ich   … glaube, Sie können

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