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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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des Grabsteins fest.
    «Sehn aus, als hätt’n Sie ’ne Tasse heißen Tee nötig, junge Frau.» Gomer drehte sich auf dem Griff seines Spatens eine Zigarette.
    Als Halb-Ruheständler nach langen Jahren, in denen er Feldgräben und Jauchegruben ausgehoben hatte, kümmerte sich Gomer jetzt um den Friedhof, auf dem seine Minnie lag, und um den Schnitt der Apfelbäume im Obstgarten hinter dem Pfarrhaus. Zudem betrachtete er es als Teil seiner Aufgabe, ein bisschen auf die Pfarrerin aufzupassen. Hatten schon so einiges zusammen erlebt, sie und Gomer. Trotzdem konnte sie ihm nicht sagen, weshalb sie nachts in der Kirche gewesen war.
    Die Farbe des Himmels beunruhigte sie. Hellrosa Streifen zogendarüber, die sich in Gomers runden Brillengläsern spiegelten und ihm einen höchst merkwürdigen Blick verliehen. Merrily fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es war ganz verfilzt von getrocknetem Schweiß.
    «Wie   … Wie viel Uhr ist es, Gomer?»
    «Wie viel Uhr?» Er blickte zum Himmel hinter dem Kirchturm empor. «Schätze mal, wir ham jetzt so fünf.»
    «Fünf Uhr
morgens

    Ihre Knie fühlten sich taub an. Streifiges   …
Sonnenlicht
brach durch die Wolkenschichten über den Hügeln wie durch die Lamellen einer Jalousie.
    Gomer strich ein Streichholz an einem Grabstein an. «Diese Mrs.   Griffith, wissn Sie, die hat bei mir angerufen. Schläft auch nich mehr viel, seit ihr Alter übern Jordan gegangn is. Meinte, da wär vielleicht ’n Einbrecher inner Kirche, ja? Hat ’nen Lichtschimmer im Ostfenster gesehen. –
Frau Pfarrer? Was is denn?
»
    «Das kann nicht sein.» Merrily schüttelte wild den Kopf. Ihr Gesicht fühlte sich an wie erstarrt. «Das
kann
einfach nicht sein. Ich war nur   … Gomer, ich   …» Sie griff nach seinem Arm. «Ich bin vor   … ungefähr einer Stunde in die Kirche gegangen. Höchstens vor anderthalb Stunden. Da war es ungefähr zehn oder halb elf.»
    Und dann hatte sich die Erde weitergedreht.
    Die Morgendämmerung in der Farbe geschmolzenen Kupfers jagte schmerzende Strahlen in Merrilys Augen.
    Gomer tätschelte ihre Hand.
    «Und die kleine Jane?   … Die is weg, oder?»
    «Mmh?»
    «Sind zum ersten Mal allein hier, was, Frau Pfarrer?»
    «Es war halb elf», sagte sie mit schwacher Stimme. «Ich schwöre es bei Gott, es war höchstens halb elf.»
    Ihr fiel wieder ein, wie weit die Kerzen heruntergebrannt waren.
Das konnte einfach nicht sein
.
    Sechs Stunden?
Aus diesen paar Minuten waren   … Stunden geworden?
    Ihre Hände zitterten. Der Penny entglitt ihr und fiel auf den Grabstein, auf dem sie gesessen hatte.
    Sie erinnerte sich an die verschwommene Britannia auf der Münze.
Zahl
.
    Gomer zündete seine Zigarette an. «Ham selbst ’n bisschen Urlaub nötig, wenn Sie mich fragen, Frau Pfarrer. Packen Sie Ihrn Koffer un verdrücken sich irgendwohin, wo Sie keiner kennt. Und ’ne Woche Gebetspause würd Ihnen auch guttun, wenn Sie mich fragen.»
    Sie hob die Münze auf. «Tut mir leid, dass ich Sie rausgejagt hab, Gomer. Wirklich, ich   … Vielleicht bin ich ja eingeschlafen oder so etwas.»
    «Ja, klar», sagte Gomer Parry und nickte vielsagend wie ein alter, geduldiger Esel.
    Sie sah ihn direkt an. Beide wussten, dass sie nicht daran glaubte, in der Kirche geschlafen zu haben – keine einzige Minute von diesen sechs Stunden.
     
    Sie lud Gomer ein, mit ins Pfarrhaus zu kommen, aber er wollte nicht. «Ich glaub, das Letzte, was Sie jetzt brauchen können, issn netter kleiner Plausch, Frau Pfarrer», sagte er. «Außerdem müssn ich und Nev drüben in Almeley ’nen Teich ausbaggern. Fangn wir eben früh an. Macht immer ’nen guten Eindruck, nich?»
    Als sie zum Pfarrhaus zurückging, war ihr jeder einzelne Schritt genauso bewusst wie die langsame Erwärmung der Luft, die Form der Pflastersteine auf dem Marktplatz und die Spannung in den alten schwarzen Holzbalken, die das Fachwerkdörfchen Ledwardine zusammenhielten.
    Zurück in ihrer Küche, sah sie sich um wie jemand, der zum ersten Mal einen Raum betritt. Ja, sie war eine Weile fort gewesen, eineNacht war vergangen. Sie setzte den Wasserkessel auf und füllte Ethels Futterschüssel. Die kleine schwarze Katze begann nicht gleich zu fressen, stattdessen saß sie auf dem Fliesenboden und starrte mit ihren grünlichen Augen Merrily an, die ihren Tee trank.
    «Sehe ich irgendwie anders aus, oder was, Mieze?»
    Ethel blinzelte nicht. Merrily ging nach oben und duschte so heiß, dass es beinahe weh tat. Ihr taten die

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