Der Turm der Seelen
sechs Stunden waren vergangen, als wären es wenige Minuten.
Zahl
. Die Münze hatte immer wieder Zahl gezeigt. Sie hatte ihre Antwort bekommen.
Doch es war nicht die Antwort. Es beantwortete gar nichts. Die inspirierenden und scheinbar mystischen Umstände hatten die Tatsache verschleiert, dass sie im Grunde nichts erfahren hatte.
«Wo hat das stattgefunden? Ich meine die Ouija-Sitzungen?»
«Wissen Sie das denn nicht?»
«Sie müssen nicht darauf herumreiten, Bernie.
Ich weiß es nicht
. Das Mädchen wollte nicht mit mir reden.»
Es regnete inzwischen heftig, und die Tropfen, die an denFensterscheiben hinabliefen, verwandelten den Ausblick auf die Broad Street in ein impressionistisches Gemälde. Merrily fühlte Tränen in ihren Augen brennen und senkte den Blick.
«Ich glaube, Sie wissen es wirklich nicht, oder?» Die Stimme des Bischofs war sanft geworden. Sie schüttelte den Kopf. «Und auch nicht, wer das Mädchen ist, das Amy in diese spiritistischen Spiele eingeführt hat.»
Sie blickte in sein dickes, freundliches Gesicht. In seinen Augen stand Mitleid.
«Was wollen Sie damit sagen, Bischof?» Sie wandte sich an Dennis Beckett. «Was wollen
Sie
damit sagen?»
Bernie Dunmore rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. «Ihre Tochter besucht dieselbe Schule wie Amy, oder?»
«Ja, sie …» Mit einem Mal war ihr, als hätte sie den Mund voller Kreide.
«Nein!»
«Nach dem Gottesdienst haben Mr. und Mrs. Shelbone Dennis zu sich eingeladen, und Amy hat vor Dennis zugegeben, dass sie sich zu etwas hat verlocken lassen, was an der Moorfield High School gerade die neueste Mode zu sein scheint. Es geht darum zu versuchen, Kontakt mit Verstorbenen aufzunehmen. Sie sagte … Am besten erzählen Sie das selbst, Dennis, ich möchte nichts Falsches sagen.»
Dennis Beckett räusperte sich. Er mied Merrilys Blick.
«Amy hat ihren Eltern in meiner Gegenwart erklärt, dass sie eines Tages auf dem Schulhof von einer Jane Watkins angesprochen wurde, die ihr erzählt hat, dass eine Gruppe Mädchen Botschaften von einem gewissen … Geist … erhält, der immer wieder nach einem Mädchen namens Amy fragt. Amy hat dieser … dieser Jane gesagt, sie sei an so etwas nicht interessiert, bis das Mädchen ihr gesagt hat, dass der Geist der Frau gesagt hätte, er wäre Amys Mutter, von der Amy als Baby getrennt wurde. Amy hatte natürlich immer gewusst, dass sie adoptiert war.»
«Und sie hat sich davon überzeugen lassen, an diesen, mmh, Sitzungen teilzunehmen», sagte der Bischof.
«Die sich offenkundig als sehr überzeugend erwiesen haben – und als ebenso traumatisierend. Das Kind behauptet, dass es mit dem Geist seiner Mutter Verbindung aufnehmen konnte und dass dieser Geist ihr schreckliche Dinge erzählt habe. Mr. und Mrs. Shelbone allerdings haben sich geweigert, mir zu sagen, worum es dabei ging.» Dennis lehnte sich erschöpft zurück. «Ehrlich gesagt, war ich ihnen dafür dankbar. Es genügt wohl zu wissen, dass Amy den Shelbones Fragen über ihre Mutter gestellt und ihnen dann Dinge erzählt hat, die sie zwar wussten, Amy aber niemals gesagt hatten. Das fängt schon mit dem Namen der Mutter an.»
«Justine»
, flüsterte Merrily. «Oh Gott.»
«Sie waren so geschockt, dass Amy aus ihren Reaktionen sofort schließen konnte, dass die Dinge, die sie erfahren hatte, der Wahrheit entsprachen. All das hat sowohl das Mädchen als auch die Shelbones in absolute Verzweiflung gestürzt.»
Der Geist eines toten Menschen.
Der Bischof sagte: «Hat sie den Shelbones bei
dieser
Gelegenheit von den Ouija-Sitzungen erzählt? Weil …»
«Nein, das hat sie nicht getan. Dieses erste Gespräch fand unmittelbar nach Amys … Unwohlsein in der Kirche statt. Als sie zu Hause angekommen waren, brach Amy die Unterhaltung ab, sobald sie festgestellt hatte, dass ihre Adoptiveltern ihr diese offenkundig höchst aufwühlenden Dinge verschwiegen hatten. Sie wurde gereizt und bockig. Sie hat den Shelbones erklärt, dass sie in Kontakt mit ihrer
richtigen
Mutter stehe, aber sie sagte nicht, wie das vor sich ging. Sie hat sich ziemlich boshaft verhalten, würde ich sagen, indem sie ihre Adoptiveltern gegen ihre natürliche, biologische Mutter ausspielte.»
«So natürlich ist diese Geistermutter ja nun nicht, wenn Siemich fragen», sagte Bernie Dunmore. «Jedenfalls hat das die Adoptiveltern dazu gebracht, um einen Exorzismus zu bitten.»
«Hazel Shelbone hat mir von all dem nichts erzählt», sagte
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