Der Turm der Seelen
Tag auf dem Weg zur Arbeit bei einem alten Lagerhaus vorbeigekommen, an dem ein riesiges Schild darauf hinwies, dass sich dort eine spiritistische Kirche befand. Eine Kirche. Wie Ihre, nur kleiner. Und vermutlich hatten manche Mitglieder dieser Kirche Kinder oder Enkel, die in die öffentlichen Schulen gegangen sind, deren Lehrer verpflichtet sind, sämtliche Religionen zu respektieren, sei es nun der Islam, der Sikhismus, Hinduismus oder … Vodoo.»
«Wir reden hier nicht über
Religion
, Mr. Morrell, wir reden über ein paar Kids, die sich irgendwo mit einem umgedrehten Glas und den Buchstaben aus einem Scrabble-Spiel verstecken.»
«Wie schon gesagt, Mrs. Watkins, ich finde so etwas viel weniger beunruhigend, als wenn sie ihr Taschengeld für Ecstasy-Pillen ausgeben und dann, wenn ihnen das Geld ausgeht, einer alten Dame die Rente klauen.»
«Also, also!» Charlie Howe hob die Hände. «Ich glaube, wirsollten das mal ins richtige Verhältnis rücken. Ich war beinahe vierzig Jahre lang bei der Polizei, und ich weiß ganz genau, was Drogen anrichten können und was Jugendliche tun können, um sich Nachschub zu besorgen. Aber ich weiß auch, Robert, was … was Religion anrichten kann. Besser gesagt, nicht Religion … im eigentlichen Sinn. Ich weiß auch nicht, wie man es nennen soll. Aber ich verstehe, wovor uns Merrily warnt, und nach meiner Erfahrung kann das manchmal zu Delikten führen, die deutlich schlimmer sind als ein Handtaschenraub.»
Morrell presste die Lippen zusammen. Er wirkte beleidigt.
«Zum Beispiel», sagte Charlie Howe, «hatte ich vor ein paar Jahren mit einem sehr schweren Mordfall zu tun, bei dem der Mörder, als er endlich gefasst wurde, behauptet hat, ihm sei von ‹Stimmen› befohlen worden, einen bestimmten Typ von Frauen umzubringen.»
«Charlie, das ist …»
«Wenn ich ein oder zwei Stunden Zeit hätte, könnte ich mehr als ein Dutzend Fälle aus den letzten zehn Jahren heraussuchen, bei denen Morde, schwere Körperverletzung und Gott weiß was noch damit erklärt wurden, dass …»
«Aber Charlie, das hier ist doch …»
«Hier geht es um Jugendliche. Das stimmt. Aber sind nicht gerade Jugendliche für diese Dinge anfälliger als Erwachsene, weil sie mehr Phantasie haben? Ich nenne es mal ‹Einbildung›, Merrily, damit Robert uns folgen kann. Und wir wissen alle, dass Einbildungen für die betroffene Person genauso echt sein können wie die Wirklichkeit. Wenn also dieses Mädchen anfängt, sich unsozial zu benehmen und Ratschläge von etwas anzunehmen, was es für seine tote Mutter hält – wer soll dann wissen, was diese sogenannte Mutter dem Mädchen als Nächstes zu tun rät? Nein, ich bin der Letzte, der diese Art Problem einfach vom Tisch wischt.»
Merrily hätte am liebsten applaudiert. Morrell spreizte die Finger auf dem Tisch.
«Na gut», sagte er nach einer kurzer Pause. «Aber was sollen wir jetzt tun? Gerade haben die Sommerferien angefangen. Es kann gut sein, dass im September schon längst wieder etwas anderes in Mode ist.»
«Eigentlich», sagte Merrily entschuldigend, «wollte ich erst einmal nur ein inoffizielles Gespräch führen.»
«Da machen Sie sich wegen mir mal keine Sorgen, meine Liebe», sagte Charlie Howe.
«Ich habe gehofft, dass wir dabei vielleicht eine Vorstellung davon entwickeln können, was da gelaufen ist – zum Beispiel, ob es an der Schule Kinder gibt, von denen bekannt ist, dass sie sich für Okkultismus interessieren … und die vielleicht andere Kinder ermutigen oder sogar Druck auf andere Kinder machen, sich an solchen Sachen zu beteiligen. Lehrer haben da ja oft einen guten Riecher.»
«Sagen Sie», warf Morrell ein, «haben Sie schon mit Ihrer Tochter darüber gesprochen?»
«Sie ist … in die Ferien gefahren.»
«Verstehen Sie, ich kann Ihnen wirklich nicht weiterhelfen. Ich weiß überhaupt nichts über diese Ouija-Sitzungen. Sie könnten sehr gut außerhalb der Schulstunden stattgefunden haben, außerhalb des Schulgeländes. Wenn Sie mir den Namen dieses Mädchens geben, können wir ihm wahrscheinlich im nächsten Schuljahr ein paar Beratungsgespräche oder ein paar Therapiestunden verschaffen.»
«Beziehungsweise», sagte Charlie Howe, «warum fragen Sie nicht Merrily, ob sie einmal kommt und sich mit den Schülern unterhält? Es existiert schließlich noch ein Religionsunterricht, oder?»
«Das muss ich zuerst mit dem Kollegium absprechen.»
Merrily schob ihren Stuhl zurück. «Also
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