Der Turm der Seelen
aufgemacht, also hab ich beschlossen, mir erst mal ein Mars und eine Zeitung zu besorgen. Dabei habe ich Gomer Parry getroffen, und wir haben uns ein paar Minuten unterhalten und dann … als ich wieder zurückkam, war dein Auto weg.»
«Ich hatte verschlafen.» Merrily entdeckte ein paar graue Strähnen in seinem Haar. Er trug es jetzt kürzer, der Pferdeschwanz war endgültig Vergangenheit. Sie unterdrückte ein Lächeln. «Da hast du dir wirklich den falschen Moment ausgesucht, Lol.»
«Weil du arbeiten musst?»
«Ja. Könnten wir vielleicht … ich meine …»
«Es geht um Gerard Stock, oder?»
Sie sah ihn nur an.
«Du weißt ja», sagte Lol zögernd, «dass ich der Letzte bin, der dir irgendwas über deinen Job erzählen will. Aber … mach das nicht.»
«Wie bitte?»
«Sag ihm für heute ab … kannst du das? Oder kannst du ihn ein bisschen hinhalten? Bitte?»
«Ich … Nein. Nein, das kann ich nicht.»
«Dann sprich wenigstens vorher mit dem Vikar», sagte Lol.
19 Und dann … Friede
Die Sakristei in Knight’s Frome hatte ungefähr die Ausmaße eines Doppelschranks, eine ordentliche Tür war nicht vorhanden, von einem Türschloss ganz zu schweigen. Merrily ließ Lol im Vorraum Wache halten, während sie sich umzog.
Diese Sache wurde langsam ziemlich verrückt und vielleicht auch eine Nummer zu groß für sie allein.
Merrily packte ihre Tasche aus: vollständige Ausrüstung plus Pektoralkreuz.
Jane dagegen – Jane hätte diese Situation ganz einfach großartig gefunden. Merrilys Tochter hatte im vergangenen halben Jahr ständig unschuldsvoll gefragt:
‹Hast du was von Lol gehört? Hat sich Lol eigentlich mal gemeldet? Meinst du, Lol bleibt über die Wochenenden in Wolverhampton?›
Merrily zog T-Shirt und Rock aus und schlüpfte in die Soutane, die sie seit einem gewissen Vorfall nur noch im Dienst trug.
Laurence Robinson: der blasse, sensible Singer-Songwriter der melancholischen, zurückhaltenden Moll-Töne. Pech in der Liebe, und dann einen Nervenzusammenbruch und ein paar Jahre in der Psychiatrie überstanden.
‹Hätte leicht ein zweiter Nick Drake werden können›
– Q-Magazine . Allerdings nur, wenn er sich umgebracht hätte, wie der arme Nick, wenn er sich für den weniger befriedigenden Weg zur Unsterblichkeit entschieden hätte.
Doch Lol hatte seine Krise überlebt und war kauzig, selbstironischund – jedenfalls nach Janes Meinung – wahnsinnig cool geworden. Ein sagenhafter Stiefvater-Kandidat eben. Und flirten konnte man anscheinend auch mit ihm.
Merrily knöpfte all die stoffüberzogenen Knöpfe der Soutane zu. Zum Glück war Jane nicht da. Sie hatte schon genug damit zu tun, ihre eigenen Gefühle im Griff zu behalten.
Sie hatte Lol Robinson das letzte Mal auf dem Dinedor Hügel über Hereford gesehen, wo sie einer toten jungen Frau gedacht hatten. Danach waren sie Hand in Hand den Hügel hinuntergegangen und in ihre beiden Autos gestiegen. Merrily hatte gewusst, dass sie sich irgendwann wieder begegnen würden, zumindest als Freunde.
Lol Robinson. Er war ungefähr der letzte Mensch gewesen, den sie hier erwartet hatte. Und der sich zu ihrer Überraschung auch noch als Vertreter der Anti-Stock-Fraktion entpuppte und ihr riet, sich aus der Sache herauszuhalten.
Als ob sie eine Wahl hätte.
Nachdem er Merrily telefonisch nicht erreicht hatte, war Lol um sieben Uhr morgens mit dem Auto zu ihr losgefahren. Wenn er sie zu Hause nicht mehr erwischte, konnte sie wer weiß wo in der Diözese sein, und er hätte keine Gelegenheit mehr, mit ihr zu sprechen, bevor sie zu Stock kam – und dann wäre es zu spät.
‹Ich hoffe, deine Bekannte ist vernünftig genug, sich nicht da reinziehen zu lassen
›
, hatte Simon gesagt. Und am gestrigen Abend hatte Isabel gesagt:
‹Er nimmt Dinge wahr, die er nicht in Worten ausdrücken kann.›
Als Lol festgestellt hatte, dass Merrily nicht mehr im Pfarrhaus war, hatte er vergeblich im Bischofspalast in Hereford nach ihr gesucht. Darauf hatte er beschlossen, sich notfalls den ganzen Tag an Stocks Zufahrt zu stellen, um Merrily abzufangen, bevor sie hineinging.
Doch dann war sie schon da gewesen, bis er zurück in Knight’s Frome war. Er hatte das Auto irgendwo abgestellt und sich eilig auf den Weg zu der Hopfendarre gemacht, weil er an die Tür hämmern und unterbrechen wollte, was auch immer dort im Gange war … und als er noch ein ganzes Stück weit weg war, hatte sich die Tür geöffnet, und Merrily
Weitere Kostenlose Bücher