Der Turm der Seelen
war herausgetreten – gefolgt von Stock: Merrily und Stock zusammen. Nun sah er sie das erste Mal seit sechs Monaten wieder, und sie war ausgerechnet mit Stock zusammen, der aus der Entfernung so seriös und harmlos aussah wie der Ehemann in einer alten Waschmittelwerbung. Merrily hatte ihm zugenickt – ihm damit Verständnis und Sympathie signalisiert – und einen Augenblick so gewirkt, als wollte sie ihm die Hand schütteln. Doch dann hatte sie sich umgedreht und war zu ihrem Auto gegangen, und Lol war an den Hecken entlang zurück zu seinem Astra geschlichen, um dem Volvo zu folgen.
Als sie nahe bei Simons Kirche parkte, hatte das auf ihn wie
vorherbestimmt
gewirkt. Er war auf sie zugegangen. Sie hatte beinahe einen Schock bekommen. Es war nicht einmal besonders schwierig gewesen, sie dazu zu bringen, mit ihm die paar Schritte bis zu dem weißgestrichenen Pfarrhaus zu gehen.
Wo alles zum Stillstand gekommen war, wie eine zu stark aufgezogene Uhr.
Die Tür war von einer etwa fünfundsechzigjährigen Frau in einer Schürze geöffnet worden, die ihnen erklärte, dass der Pfarrer und Mrs. St. John zum Einkaufen nach Hereford gefahren waren. Sie gingen immer an einem Dienstag einkaufen, weil da in der Stadt zwischen dem Wochenendansturm und dem Mittwochsmarkt nicht so viel los war. Es war dann für Isabel einfacher, in der Stadt herumzukommen, erklärte die Haushälterin. Und für die Leute aus Hereford war es einfacher, wenn Isabel gut gelaunt war, ließ sie stillschweigend durchblicken.
Lol fiel keine Lösung ein. Wie sollte er Merrily nur davon überzeugen,sich aus dieser Sache herauszuhalten, wenn er ihr nichts erzählen konnte, was sie nicht schon selbst wusste?
Zum Beispiel hätte er gern gewusst, was der
wahre
Grund für Simons Weigerung gewesen war, Gerard Stocks Hopfendarre zu exorzieren. Inzwischen war klar, dass mehr dahinterstecken musste als die erklärte Überzeugung des Pfarrers, Stock würde das alles nur erfinden, um entweder Lake eins auszuwischen oder irgendwie Geld aus einem Erbe herauszuschlagen, das er nicht verkaufen konnte.
Isabel hatte gewollt, dass er ihm vertraute, doch Lol vertraute Simon
nicht
. Da herrschte viel zu viel Unklarheit und Labilität. Und wenn irgendwer Labilität erkennen konnte, dann war es Lol.
Er sah durch den Mittelgang von Simons überaus schlichter kleiner Kirche ohne Schnitzereien und ohne Buntglasfenster nach vorn zum Altar. Die Wahrheit lautete ganz einfach, dass er keinerlei Anlass hatte,
irgendeinem
Vertreter der Geistlichkeit zu vertrauen, außer …
Er wandte sich um, als der Samtvorhang raschelnd aufgezogen wurde und sie aus der Sakristei trat wie aus einer Umkleidekabine im Kaufhaus. Anscheinend standen manche Männer wegen der Tracht auf Priesterinnen, genauso wie auf Krankenschwestern und Dienstmädchen. Doch als Lol Merrily in ihrer Soutane und ihrem weißen Chorhemd durchs Kirchenschiff gehen sah, fühlte er sich nur unwohl.
Mit diesem Stock stimmte eindeutig etwas nicht. Und Simon wusste mehr, als er sagte.
Und Lol … war einfach bloß irgendein Songschreiber.
Sie lächelte ihn an. Sie sah aus wie ein Kind, das Verkleiden spielt – im Doofer-Pfarrer-Kostüm. Dann sah er die Fältchen an ihren Augenwinkeln. Neue Fältchen.
«Jetzt sieh mich nicht so besorgt an», sagte Merrily. «Das ist eben mein Job.»
Auf dem Rückweg zum Auto spürte sie sein Unbehagen. Sie glaubte nicht, dass er sie schon einmal in voller Pfarrermontur gesehen hatte. Sie war jetzt von einer Aura aus schwarzweißer Heiligkeit umgeben, keine Frau mehr. Sie hörte sogar in der Art, in der er mit ihr sprach, eine neue Steifheit, einen offizielleren Ton.
«Ich finde», sagte Lol, «du solltest ihn vielleicht fragen, warum er die Darre nicht verkaufen kann – einfach nur um zu sehen, wie er reagiert.»
«Lol, das ist …» Es war kindisch, aber sie tat es trotzdem: Sie setzte sich auf die Kühlerhaube des Volvos, das Chorhemd bauschte sich um sie herum. «Das spielt doch keine Rolle, oder? Ich habe alles über ihn gehört, ich weiß, was für ein Leben er geführt hat. Mir ist klar, dass er wahrscheinlich mit genau der Absicht zur Presse gegangen ist, diesem Lake Druck zu machen oder die Sache irgendwie anders auszuschlachten. Aber das … das ändert nichts an der Tatsache, dass er meiner Meinung nach wirklich ein Problem hat. Wenn ich alle Leute mögen müsste, denen ich helfen soll, dann … na ja, dann hätte ich ziemlich häufig frei,
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