Der Turm von Zanid
mal, so schlecht geht es mir noch nicht. Außerdem ist er Chinese und würde mir wahrscheinlich gemahlene Yeki-Knochen verabreichen.« Das war zwar nicht gerade fair gegen den guten Dr. Nung, aber es passte gut als Ausrede.
Fallon empfand den Rest des langen Nachmittags als nervtötend langweilig, weil er nicht zu lesen wagte, aus Angst, er könne einen zu gesunden Eindruck erwecken. Als die Zeit der dritten Mahlzeit nahte, sagte er, er wolle nichts essen. Das alarmierte Gazi, die an seinen regelmäßigen und herzhaften Appetit gewöhnt war, noch mehr als sein Stöhnen und Grimassenschneiden.
Nach einer unendlich scheinenden Wartezeit wurde das Licht Roqirs schwächer, und der Türgong ertönte. Gazi wischte sich hastig die noch vorhandenen Tränen ab und ging zur Tür. Fallon hörte Stimmen aus der Diele, und Hauptmann Kordaq kam herein.
»Seid gegrüßt, Meister Antane!« sagte er. »Ich hörte, Ihr seid indisponiert, und eilte sofort herbei, Euch den Trost zu spenden, dessen meine raue, schweigsame Soldatenzunge fähig ist. Was fehlt meinem Waffenbruder?«
»Ach, ich habe mir irgendwie den Magen verdorben. Nichts Ernstes – bis morgen bin ich wieder auf den Beinen. Kennt Ihr meine Jagaini, Gazi er-Doukh?«
»Gewiss. Wir waren früher eng befreundet. An der Tür erkannten wir uns sofort wieder – nicht ohne einen melancholischen Stich, nach all den langen Jahren, die vergangen sind, seit wir uns zum letzten Mal begegneten. Es ist mir eine große Freude, sie nach so langer Zeit wieder zu sehen.« Der Hauptmann hielt inne, wie in großer Verlegenheit. »Ich wollte Euch eigentlich ein kleines bescheidenes Angebot machen – nichts Besonderes, lediglich, wie gesagt, äh –, eine kleine Aufmerksamkeit: Ich habe Karten für die Premiere von Harians Verschwörern … aber wenn Ihr Euch nicht wohl fühlt …«
»Nehmt doch Gazi mit!« sagte Fallon. »Wir hatten vor, zu Kastambangs Party zu gehen, aber ich schaffe es nicht.«
Es folgte das in solchen Fällen übliche höfliche Hin- und Hergerede und Geziere: Gazi meinte, sie wolle Fallon nicht krank allein zu Hause liegen lassen, und Fallon – unterstützt von Kordaq – bestand darauf, dass sie mitging. Sie gab bald nach und eilte nach hinten, um sich in ihren flitterbesetzten durchsichtigen Rock und ihren glitzernden Ulemda zu werfen.
»Und zieh deinen Regenmantel an!« rief Fallon ihr hinterher. »Es sieht zwar aus, als würde das Wetter so bleiben, aber ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass deine neuen Sachen nass werden.«
Kaum waren die beiden zur Tür hinaus, sprang Fallon aus dem Bett und zog sich seinen besten Rock und seinen Ausgehschurz an. Er hatte sich wieder einmal sauber aus der Affäre gezogen und gleichzeitig zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: zum einen war er auf elegante Weise Gazi losgeworden, die ihn durch ihre Anwesenheit auf Kastambangs Party ohnehin bei seinem Vorhaben gehindert hätte; zum anderen war er um den Theaterbesuch herumgekommen. Gazi hatte nämlich angedeutet, dass sie sich die Verschwörer liebend gern mit ihm ansehen würde, und Fallon, der das Stück schon einmal in Majbur gesehen hatte, verspürte nicht die geringste Lust, den Schinken ein zweites Mal über sich ergehen zu lassen.
Er schlang hastig ein paar Bissen herunter, schnallte sein Schwert um, nahm einen hastigen Schluck Kvad, besah sich kurz im Spiegel und machte sich auf den Weg zur Villa von Kastambang, dem Bankier.
9
H underte von Kerzen warfen ihren sanften Schimmer auf die seidenglänzenden Abendröcke der Krishnaner und auf die bloßen Schultern und Brüste der Krishnanerinnen. Juwelen glitzerten, edle Metalle schimmerten.
Angesichts dieses Gefunkels fragte sich Fallon (der für gewöhnlich kein sehr nachdenklicher Mensch war), ob diese Menschen, die in wenigen Jahren vom Feudalismus in den Kapitalismus katapultiert werden würden, zu einem sozialistischen oder kommunistischen Stadium fortschreiten würden, so wie es bei vielen terranischen Nationen der Fall gewesen war, bevor sie schließlich eine Art gemischter Wirtschaftsform angenommen hatten. Die ungerechte Verteilung des Reichtums konnte durchaus als Zündstoff für eine solche revolutionäre Entwicklung angesehen werden. Aber andererseits, überlegte Fallon, hatten sich die Krishnaner bis dato als viel zu streitsüchtig, romantisch und individualistisch erwiesen, um für kollektivistische Herrschaftsformen, gleich welcher Art, anfällig zu sein.
Er saß allein, abseits vom
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