Der Turm von Zanid
Partygetriebe, schlürfte von seinem Kvad, den er sich an der Bar geholt hatte, und sah der Darbietung auf der kleinen Bühne zu. Wenn Gazi jetzt bei ihm gewesen wäre, dann hätte er im Ballsaal mit ihr tanzen müssen, wo eine Gruppe balhibischer Musikanten eine ebenso feurige wie inkompetente Imitation einer irdischen Tanzkapelle lieferte. Da Antony Fallon ein schlechter Tänzer war und überdies diese Art körperlicher Betätigung langweilig fand, war ihm seine gegenwärtige Abgeschiedenheit gar nicht unangenehm.
Auf der Bühne wirbelte gerade ein als Iwan und Olga angekündigtes Paar, die gestiefelten Beine hüpfend und springend, zu einer Art Kosakentanz durch die Luft. Trotz des rosafarbenen Make-ups auf ihrer grünlichen Haut, der auf die Stirn gepappten Antennen und der geschickt versteckten Spitzohren (der Mann hatte seine Kosakenmütze aus Schaffell darüber gezogen, die Frau hatte ihre Haare darüber gekämmt) erkannte Fallon unschwer an ein paar kleinen anatomischen Details, dass es Krishnaner waren. Warum aber mimten sie Terraner? Weil sie zweifellos auf diese Weise größeres Prestige genossen. Für die Krishnaner war nämlich die Erde – im Gegensatz zu ihrem eigenen Planeten – das Synonym für Glamour und romantische Exotik.
Eine Hand berührte Fallons Schulter. Es war Kastambang. »Meister Antane, es ist alles vorbereitet. Wollt Ihr mir folgen?«
Fallon folgte seinem Gastgeber in einen kleinen Raum, wo zwei Diener vortraten, einer mit einer Maske in der Hand, der andere mit einem weiten schwarzen Umhang.
»Legt das an«, sagte Kastambang. »Euer Gesprächspartner wird ebenso gewandet sein, damit eine Entlarvung ausgeschlossen ist.«
Fallon, der sich wie ein alberner Schmierenschauspieler vorkam, ließ sich von den Dienern die Maske und den Umhang anlegen. Dann führte ihn Kastambang schnaufend und humpelnd durch mehrere Gänge, die mit schwarzem Samt verhangen waren, was in Fallon das unbehagliche Gefühl hervorrief, er würde sich durch den Verdauungskanal eines riesigen Tieres vorwärtsbewegen. Irgendwann kamen sie an eine weitere Tür. Der Bankier öffnete sie.
Als er Fallon bedeutete, einzutreten, sagte er: »Keine Tricks oder Gewaltanwendung. Meine Leute bewachen sämtliche Ausgänge.«
Dann humpelte er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Als Fallons Blicke das schwach erhellte Zimmer abtasteten, war das erste, auf das sie stießen, eine einsame kleine Öllampe, die in einer Nische vor einem vielgliedrigen böse dreinblickenden kleinen Kupfergott brannte. Die Figur war eine Arbeit aus dem fernen, jenseits der Drei Meere gelegenen Ziada. Und an der gegenüberliegenden Wand sah er einen geduckten schwarzen Schatten, der plötzlich zu einer Größe emporwuchs, die seiner gleichkam.
Fallon zuckte zusammen, und seine Hand schoss zum Schwertgriff … als ihm einfiel, dass er seine Waffe beim Betreten des Hauses hatte abliefern müssen. Doch dann sah er, dass der Schatten bloß ein anderer Mensch oder ein Krishnaner war, der genau wie er einen Umhang und eine Maske trug.
»Was wollt Ihr wissen?« fragte die schwarze Gestalt.
Die Stimme klang schrill vor Spannung. Die Sprache war Balhibou. Der Sprecher schien dem Akzent nach aus den östlichen Regionen Balhibs zu stammen, wo die Sprache eine starke Ähnlichkeit mit den Dialekten des westlichen Gozashtand aufwies.
»Das gesamte Yesht-Ritual«, antwortete Fallon, während er einen Notizblock und einen Bleistift hervornestelte und näher ans Licht trat.
»Beim Gott der Erdenmenschen, das ist kein geringes Anliegen«, erwiderte die Stimme. »Das Enchiridion der Gebete und Hymnen allein umfasst schon einen gewichtigen Band -und nur an einige wenige davon kann ich mich erinnern.«
»Ist dieses Enchiridion geheim?«
»Nein. Man kann es in jeder guten Buchhandlung bekommen.«
»Nun, dann sagt mir alles, was nicht im Enchiridion steht: die Gewänder, die Bewegungen und so weiter.«
Ungefähr eine Stunde später hatte Fallon alles in Kurzschrift niedergelegt. Sein Notizblock war fast voll. »Ist das alles, was irgendwie erwähnenswert ist?«
»Zumindest alles, was ich weiß.«
»Dann danke ich vielmals. Schade, dass ich nicht weiß, wer Ihr seid. Sonst könnten Ihr und ich uns vielleicht dann und wann einen kleinen Gefallen tun. Manchmal brauche ich Informationen …«
»Zu welchem Zweck, mein Herr?«
»Oh … sagen wir mal, für Reportagen im Rashm. « Fallon hatte tatsächlich gelegentlich einen Beitrag für die Zeitung geliefert,
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