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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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holen. Also kann ich gleich hierbleiben.«
    »Kommst du ’rüber, was essen?« Das Abendbrot, das die Schwestern der Chirurgischen Klinik für den Dienst zubereiteten, genoß in der Akademie einen guten Ruf.
    »Alter Junge, genau das hatte ich vor!«
    »Ich will vorher noch mal über die Stationen gehen –«
    »Bin dabei, wenn du nichts dagegen hast.«
    Sie sagten in der Notaufnahme Bescheid, daß sie noch einen Rundgang machen wollten. Diese Rundgänge mit Kollegen ausanderen Kliniken waren Brauch in der Akademie, denn so erfuhr man rasch und aus kompetentem Mund, wie in einer Privatvorlesung, die wichtigsten Neuerungen und Probleme des anderen Fachgebiets. Für diese Orientierung über den Stand der Nachbarfächer blieb im Klinikalltag meist keine Zeit.
    Zuerst gingen sie über die allgemeinchirurgischen Stationen, denn die Patienten dort kannte Richard kaum. Rief man ihn nachts, war es von Vorteil, wenigstens grob informiert zu sein. Aus den Dienstplänen ersah er, daß fähige Schwestern Nachtdienst haben würden. Routinemäßig und zerstreut grüßte er die Schwestern vom Spätdienst, ließ sich die Akten der heiklen Fälle herauslegen, studierte sie, während Weniger scherzte und ein Schwätzchen anknüpfte. »Na, Schwester Karin, wie geht’s denn mit Ihrem Haus voran?« Die Schwestern räumten den Apothekenkorb aus, setzten die Abendmedizin.
    »Wie soll’s schon gehen, Herr Oberarzt. Wenn man nur anständige Handwerker bekäme. Letztens der Installateur, den ich anrief, weil der Durchlauferhitzer defekt war. ›Forum handelt es sich?‹ Und nach achtzehn Uhr käme er gar nicht, da habe er nämlich seinen wohlverdienten Feierabend!«
    »Der wollte einen Forum-Scheck von Ihnen? Dieser Gauner!« »Oder gleich Westgeld, Herr Oberarzt, was denken Sie denn!« Die stellvertretende Stationsschwester der Süd I schüttelte entrüstet den Kopf. »Neulich waren die Handwerker bei meinem Nachbarn, Waschbecken installieren, und als sie mitgekriegt haben, daß er kein Westgeld zahlen kann, haben sie ihm Beton in die Ausgüsse gekippt!«
    »Anzeigen müßte man diese Bande!« Weniger hieb auf den Tisch.
    »Dann kriegen Sie Ihr Lebtag keinen Handwerker mehr.« Schwester Karin seufzte. »So ist das nun mal. Die einzige Lösung wäre – ist Ihnen nicht gut?« Sie sah Richard besorgt an; er winkte ab. »Schon in Ordnung. Muß vielleicht nur was essen. Und ein Kaffee wäre auch nicht schlecht. Lassen Sie mal. Bekomme ich schon auf meiner Station, vielen Dank. Manfred – gehen wir?« Er spürte die Blicke in seinem Rücken.
    Auf der Nord I tranken sie Kaffee, die Schwestern hatten Richard seinen Becher bereitgestellt, eine extragroße Blech-Mug mitseinem Namen und einem lachenden Sägefisch-Abziehbild auf dem Email; der Kaffee belebte ihn, er war lauwarm und bitter (alle, die er kannte, fanden das widerlich), so trank er ihn am liebsten, weil er keine Zeit mit Warten verlieren mußte, er konnte den Kaffee, wie eine Droge, mit wenigen, gierigen Zügen einschlürfen. Weniger beobachtete ihn, trank in geraden Schlückchen, sehr präzise, sehr geübt, Richard fand das ein wenig affektiert. »Schwierigkeiten?« fragte Weniger, als sie über die Station gingen.
    »Das übliche, weißt du. Außerdem war’s ein anstrengender Tag.«
    »Müller?«
    »Nein, nein. Meinst du unsere Witze, vom Geburtstag? Längst vergessen und vertan. Wir haben andere Sorgen.«
    »Soll ich dich in Ruhe lassen?«
    »So war’s nicht gemeint. – Komm, ich zeig dir mal was.« Sie gingen in ein Zimmer, acht Betten waren darin aufgestellt, in jedem lag eine weißhaarige Frau. Ein Hilfspfleger rollte gerade eine Patientin von der Bettpfanne; es roch nach Urin, Fäkalien und Wofasept-Desinfektionsmittel. Die Frauen blickten nicht auf, als die beiden Ärzte eintraten, sie lagen teilnahmslos, starrten ins Leere oder schliefen, die faltigen Hände auf den weißen Decken. Der Hilfspfleger reinigte die Frau mit zwei, drei energischen Strichen, nahm die Bettpfanne, grüßte scheu und huschte hinaus. Diese Patientin schien sie wahrzunehmen: »Herr Doktor, Herr Doktor!« rief sie mit dünner, kläglicher Stimme und streckte die Arme aus. Sie gingen zum Bett, setzten sich, Richard nahm ihre Hand.
    »Herr Doktor, kommt meine Tochter?«
    »Sie wird kommen.«
    Die Frau ließ sich ins Kissen sinken, nickte befriedigt, beugte sich wieder vor, drohte schelmisch lächelnd mit dem Zeigefinger. »Ihr Ärzte schwindelt doch alle! Kann ich meine Tochter nicht anrufen?«
    »Wenn

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