Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
Chirurgische Klinik, mit Heinsloes Geschwätz im Ohr, verfluchte er innerlich den Zufall, der ihn ausgerechnet hier und ausgerechnet jetzt mit demVerwaltungsdirektor hatte zusammentreffen lassen. Erst in der Ambulanz wurde er ihn los.
    »Ach, und übrigens noch Glückwunsch zum Medizinalrat!« Heinsloe zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Richard hatte keine Zeit, sich über diese plump vertrauliche Geste Gedanken zu machen, Pfleger Wolfgang winkte ihm: »Herr Oberarzt, man hat Sie gesucht. Anruf für Sie.«
    Richard ging auf seine Station. »Ein Daniel Fischer, klang noch ziemlich jung«, sagte die Schwester, die den Anruf entgegengenommen hatte.
    »Was wollte er?«
    »Er hat nur gesagt, daß man seine Mutter ins Krankenhaus gebracht hat.«
    »Aha. Und in welches?« fragte Richard, in Patientenkurven blätternd.
    »Hat er nicht gesagt.«
    »Danke. Schönen Dienst noch.« Richard gelang es nur mühsam, sich zu beherrschen und nicht loszustürzen. Von seinem Zimmer rief er die Leitstelle der Schnellen Medizinischen Hilfe an und erfuhr, daß Josta nach Friedrichstadt gebracht worden war. »Und weswegen?«
    »Moment.« Richard hörte, wie der Mann schnaufend aufstand und in Papieren kramte. »Verdacht auf Tabletteneinnahme in suizidaler Absicht. Darf ich Ihnen eigentlich gar nicht sagen, aber weil Sie’s sind, Doktor Hoffmann.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Gute Stunde.«
    Richard drückte auf den Unterbrecher, schloß die Augen. Einige Sekunden blieb er so stehen, dann konnte er wieder klare Gedanken fassen.
    »Hallo, Anne, es wird heute später. – Nein, Sitzung in der Verwaltung. Hab’ Heinsloe getroffen, es geht um den Hand-OP. – Ich dich auch.« Er war überrascht, daß es ihm gelungen war, ruhig zu klingen. Er ging zum Waschbecken, wusch sich das Gesicht, betrachtete im Spiegel sein tropfendes Gegenüber und spuckte aus. Als er die Spucke mit einem Handtuch wegwischte, bemerkte er ein einzelnes Barthaar auf der Wange, das er beim Rasieren übersehen hatte. Er ging zum Schrank, in dem er für die Diensteeine vollständig bestückte Waschtasche aufbewahrte, nahm den Rasierer und schnitt das Barthaar ab.

    Josta lag auf der Station 4 im Krankenhaus Friedrichstadt, der Intensivstation. Richard kannte sie, oft genug hatte er als Diensthabender auf Notarztwagenfahrten Patienten einliefern müssen. Außerdem hatte er als Famulant in der Studienzeit hier gearbeitet. Die »Vier«, wie sie genannt wurde, hauste unter dem Dach einer der Friedrichstädter Kliniken, die den Krieg überstanden hatten. Wie in allen Krankenhäusern der starke Geruch nach Wofasept-Desinfektionsmittel, treppauf, treppab eilende Ärzte. Den blassen, sommersprossigen Pfleger Markus mit dem roten Vollbart hatte er noch als Krankenpflegeschüler auf dieser Station kennengelernt, jetzt war er Stationspfleger. Sie hatten ihn, des damals schon imposanten Bartes und des Namens wegen, den »Evangelisten« genannt. Richard hatte ihn bewundert, denn wenn es ans Blutabnehmen ging und alle versagten, rief man den Pfleger Markus … All das ging ihm durch den Kopf, während er an Markus vorbei einen Blick durch die offenstehende Tür des Reanimationsraumes zu erhaschen versuchte. »Ich möchte zu Frau Fischer. Wir haben einen Anruf bekommen in unserer Ambulanz.«
    Markus wies auf eines der hinteren Zimmer. »Sie hat Glück gehabt. Ist jetzt stabil. Man hat ihr den Magen ausgepumpt, zwanzig Obsidan. Ist sie aus Ihrer Klinik?«
    »Nein. Chefsekretärin unseres Rektors.«
    »Ach du grüne Neune.«
    »Kann ich zu ihr?«
    »Fünf Minuten. Sie ist noch an der Überwachung.«
    »Pfleger Markus –«
    »Hm?«
    »Wenn unsere hohen Tiere hier aufkreuzen …«
    »Ja?«
    »Erwähnen Sie doch bitte nicht, daß ich da war.«
    Markus warf ihm einen raschen Blick zu.
    »Kann ich mich auf Sie verlassen? – Ich sollte eigentlich in einer Sitzung sein.«
    Markus sah an ihm vorbei, nickte. »Auch wir haben eine Schweigepflicht, Herr Oberarzt.«
    »Danke. Kann ich Sie anrufen? Es ist doch Ihre Patientin? – Übrigens: So sieht man sich wieder«, fügte Richard lahm hinzu, in der Hoffnung, daß Markus diesen kleinen Brückenschlag annehmen würde. Er fühlte sich unbehaglich, hatte das Gefühl, daß die hin- und hereilenden, Klingeln und den Summtönen der Infusionsmaschinen folgenden Schwestern ihn mit fragenden und vorwurfsvollen Blicken bedachten; auch wollte er keinem Kollegen begegnen.
    »Ich habe morgen Frühdienst«, sagte Markus, »Sie können mich anrufen.«
    »Ihre

Weitere Kostenlose Bücher