Der Turm
zu. Er war so verdutzt, daß er das Glas nahm, das sie ihm reichte. »Wie meinen Sie?«
»Rauchen Sie?«
»N-nein –« Beinahe hätte er gesagt: natürlich nicht – und sie hätte zurückgefragt: Natürlich nicht? Wieso? und hätte vielleicht erraten, daß er Arzt war. Vielleicht wußte sie es ohnehin. Er fragte sich, wieviel Josta ihr erzählt hatte.
»Probieren Sie’s mal, das beruhigt.«
»Arbeiten Sie nicht in einem Fischgeschäft?«
»Als Verkäuferin, stimmt. Ist gar nicht so übel da. Hin und wieder muß man einen Fisch töten. Man hat was zum Tauschen und Handeln, da hatte ich als Malerin schlechtere Karten. – Sie sind kein Mensch, der viel probiert?«
»Ich werde jetzt gehen. Bitte verstehen Sie, daß mir der Sinn nicht nach einer Unterhaltung steht. Tut mir leid. Ein andermal – gern, aber nicht heute.«
»Wonach steht Ihnen denn der Sinn?« Sie sah ihn ziemlichherausfordernd an. Er wich ihrem Blick aus, starrte auf ihre Füße. »Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht.« Er hielt das Glas wie etwas Ansteckendes von sich weg, griff sich nervös an die Stirn. Was für eine blödsinnige Antwort. Ich muß völlig verrückt geworden sein!
»Sie möchten mit mir schlafen.«
»Was?«
»Glauben Sie, ich habe Ihre Blicke nicht bemerkt? Im Flur und im Spiegel vorhin?« Sie trank ihr Glas leer. »Sie waren geil, und ich bin’s inzwischen auch.«
»Sind Sie …«, Richard lachte ungläubig auf, »sind Sie verrückt?«
»Nein. Nur allein.«
Er trank nun doch einen Schluck. Der Cognac war gut. Er haßte sich für diese Feststellung.
»Ich habe manchmal gelauscht, wenn Josta und Sie … Sie schien ziemlich glücklich zu sein.«
»Hören Sie, das ist«
»– beneidenswert. Ich möchte es auch mal wieder sein.«
»– vollkommen verrückt –«
»Und jetzt hab’ ich die Gelegenheit. Den ›Onkel‹ können Sie sich abschminken.«
»Wollen Sie mich erpressen?« Wider Willen mußte Richard lachen.
»Nennen Sie’s, wie Sie wollen. Ich nenne es: zugreifen. Ich will nicht als alte Jungfer sterben und den verpaßten Gelegenheiten hinterherjammern.«
»So … wollen Sie nicht.« Er mußte immer noch lachen. »Sind Sie betrunken?«
»Keineswegs. Und von dem bißchen Cognac gleich gar nicht. Ich wirke so, ich weiß. Bißchen … na, sagen wir’s volkstümlich: duhn. Geht mir schon immer so. Bin im Uran großgeworden. Wir hießen ›das schlafende Dorf‹.«
»Was würden Sie sagen, wenn mir Ihre Erpressung egal wäre?« Sie nahm sein Glas und warf es zu Boden. »Ich würde sagen: Du weißt nicht, was du verpaßt.« Sie trat durch die Scherben auf ihn zu.
Aber dann saßen sie und schwiegen. Nach einer Weile zündete sie sich eine Zigarette an, zog, reichte sie ihm, er wehrte ab. Ihre Füße bluteten. Glassplitter in den Füßen waren schwierig zu finden, wenn sie nicht oberflächlich feststeckten, man sah sie nicht auf Röntgenbildern.
Er verließ die Wohnung. Verabschiedete sich von Daniel, der Lucie ins Bett gebracht hatte, wo sie mit offenem Mund schlief.
31.
Vanille & indigo
Die Mädchen liefen ein Stück hinter ihnen und waren weniger spöttisch als sonst, vielleicht lag es daran, daß Christian eingeladen hatte: Sie würden im Tausendaugenhaus, in Menos Wohnung, übernachten, Meno war in Berlin. Vielleicht lag es an den Stimmen, die aus den Gärten kamen, dem Jasmingeruch, der an den Abenden betäubend war und die anderen Gerüche durchdrang: Harz auf den Pflaumenbäumen, erwärmter Asphalt, all die rauschenden und abends zur Ruhe kommenden Gärungen aus geöffneten Fenstern und dem von Blüten entzündeten Elbhang mit seiner flüsternden, Niklas sagte: balsamischen, Zärtlichkeit. Christian und Falk machten Handstand, aber nur Siegbert schaffte es bis zur Litfaßsäule an der Kreuzung Mondleite und Lindwurmring, unter dem Geschrei und Beifall der russischen Offiziere, die vor der Villa Claar, wo sie wohnten, Volleyball gespielt hatten. In der Tanzschule Roeckler, wiederholte das Piano mit stumpfsinniger Geduld »An der schönen blauen Donau«. Heike hatte ihren Zeichenblock dabei, und Christian staunte über die rasche Schärfe, mit der sie Siegberts Triumph erfaßte: das prekäre Gleichgewicht, als er auf den Händen vor einem hupenden Auto die Straße überquerte, die nach unten verrutschten Hosen, die braune Stachelbeerwaden und Tennissocken freigaben, das Jackett, das wie ein Regenschirm umgeklappt war, seine um Gleichgültigkeit und ruhigen Atem bemühten Züge, als er aufstand und sich
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