Der Turm
beugte sich vor, blaß geworden. »Das hätte ich nicht von dir gedacht, Meno. Du bist ja ein Opportunist!«
»Na, hör mal!«
»Man darf sie nicht reizen«, sagte Gudrun.
»Wir haben auch Schwierigkeiten mit Muriel, aber denkt ihr, wir geben uns für Spitzeldienste her? Nicht reizen! Was redest du da! Die reizen doch uns!«
Niklas hob die Hände. »Ich kann mich an einen ähnlichen Fall in der Staatskapelle erinnern. Da ging es darum, ob die Tochter auf die Hochschule darf. Er hat nach einer Weile alles gestanden. Er hat nur belangloses Zeug berichtet. Inzwischen war die Tochter auf der Hochschule – und durfte trotzdem weiterstudieren.« »Woher weißt du, daß er nur belangloses Zeug berichtet hat?« »Was willst du damit andeuten, Iris?«
»Du brauchst nicht laut zu werden!«
»Hört auf! Alle diese Für und Wider hatten wir schon. Was, wenn sie es bei mir anders halten?« Richard ging wieder auf und ab. »Und wenn nicht?« fragte Barbara herausfordernd.
»Du hast gut reden! Es ist ja nicht dein Risiko! Es ist nicht Inas Zukunft, die auf dem Spiel steht«, rief Anne dazwischen.
»Man sagt ja, daß die Sicherheit sich nur an ganz bestimmte Leute heranmacht …« Gudrun sah Richard mißtrauisch an.
»Mir bleibt gleich die Luft weg! Meinst du etwa, daß dir das nicht passieren kann? Dein Wort im Ohr der Oberen … Und im übrigen: wart’s ab!« rief Richard hämisch und verzweifelt.
»Wie wär’s eigentlich, wenn wir Robert und Christian mal fragen würden, wie sie dazu stehen? Wir reden über ihre Köpfe hinweg, immerhin geht es aber auch um sie –«
»Du bist weltfremd!« schnaubte Richard Meno an. »Was glaubst du, was wir für Druck aufbauen, wenn wir sie in diese Runde laden und fragen, wie sie sich die Angelegenheit denken! Na? Habt Mitleid mit euren Eltern das ist das, was sie hier spüren werden, und dann werden sie sich zurückziehen und auf das Studium verzichten, zu ihrem Schaden. Ist das deine Vorstellung von Verantwortung? Damit würden wir sie delegieren, an Jungs in der Pubertät, die die Tragweite von Entscheidungen noch kaum überblicken. Außerdem wäre es feige. Nein, Meno, entschuldige, aber in diesem Punkt kannst du nicht mitreden.«
»Schluß jetzt!« Ulrich hieb auf den Tisch. »Wir müssen was tun!« Nun redeten sie durcheinander. Regine saß still und bedrückt neben Meno, der ebenfalls schwieg.
»Gib mal her«, Siegbert streckte die Hand aus. Jens warf ihm den Frosch zu, den er von einem der Kirschbäume gelesen hatte, die um das Lager massenhaft wuchsen. In der ersten Marschpause hatten sich die Jungs die Bäuche mit den gelben Kirschen vollgeschlagen, Hantsch hatte geduldig gewartet und Gasmaskentraining befohlen; Falk hatte sich die Maske vom Gesicht gerissen und war, obwohl Hantsch mit Extrastunden drohte, unter heftigen Magenstößen ins Gebüsch gerannt – danach hatte ihm Hantsch schweigend eine Wasserflasche gereicht.
»Schöner Frosch«, sagte Siegbert. Er überlegte einen Moment. Hagen Schlemmer lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Waldboden, Christian beobachtete Falk, der mit hochrotem Gesicht und verklebtem Haar nach Atem rang. Siegbert griff in die Tasche, zog sein Taschenmesser heraus und schnitt dem Frosch, den er vor sich auf ein Stück Rinde streckte, beide Beine ab.
»Die rudern ja wirklich noch«, registrierte er. Falk öffnete den Mund; Hagen Schlemmer sagte »Äks«, Jens sah sich um: Hantsch war seitwärts gegangen, sie hatten überlegt, wie sie ihm das eine oder andere heimzahlen konnten (Brennesseln? gezielter Stoß, so daß er im frischen Haufen landete? aber er hätte sie gesehen); es war noch zu früh, es war noch nicht die Gelegenheit, sie waren übereingekommen, daß so etwas reifen mußte. Christian sah, daß der Rumpf des Froschs sich langsam von der Klinge und damit von den abgetrennten Beinen entfernte, die hilflos und roboterhaft auf- und zuklappten, das Tier quakte leise, und die Arme paddelten wie Scheibenwischer in der Luft herum; Christian konnte das nicht verstehen, sah nach oben, wo die Zweige flimmerten, wieder nach unten, auf das von Interesse wache Gesicht Siegberts; dann stand er auf, nahm das Messer, das zwischen Froschrumpf und Froschbeinen in dem Stück Rinde steckte, und stach es Siegbert in den Oberschenkel; er kam nicht sehr tief. Siegbert sagte nichts.
Christian drehte das Messer nach links und nach rechts. Erst jetzt schien Siegbert zu verstehen und protestierte überrascht. Christian zog das Messer wieder heraus und
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