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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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warf es ins Gebüsch. Dann sah er nach dem Frosch; auch Falk versuchte sich um das Tier zu kümmern; sie wechselten einen Blick, dann suchte Christian einen größeren Stein. Siegbert protestierte jetzt. Hantschkam. »Was ist hier los?« Sein Blick flog von einem zum andern, blieb schließlich an Christian hängen. »Was haben Sie gemacht, Hoffmann?« Er rannte zu Siegbert, sah das Blut. »Sind Sie wahnsinnig? Sie sind«, er schüttelte den Kopf, dann schien er etwas zu begreifen und mußte, vielleicht wider Willen, lächeln, »Sie sind … tot, Mann. Sie sind erledigt. Ich habe genau gesehen, daß Sie etwas weggeschmissen haben, das wird die Tatwaffe gewesen sein.« Christian dachte: Krimis scheint er zu lesen.
    »Das stimmt nicht«, preßte Siegbert hervor, »Das stimmt nicht, Genosse Unteroffizier. Christian hat damit … gar nichts zu tun. Er wollte mir helfen. Ich bin blöd gefallen … genau in was Spitzes rein.«
    »Und was soll das sein?« Hantsch beugte sich zum Boden, suchte ihn gierig ab. »Können Sie aufstehen? Sie beide tragen ihn mal beiseite«, er wies auf Jens und Hagen. »Nichts zu sehen. Wohinein wollen Sie also gestürzt sein?«
    »Das war schon vorher, ich bin noch ein Stück gekrochen«, Siegbert war jetzt speckweiß. »Die anderen sind Zeugen.«
    Hantsch richtete sich auf, starrte von einem zum andern. »Wenn Sie hier falsch aussagen, hat das für Sie Konsequenzen. Wir werden das schon herausfinden. – Zwei Mannschaften bilden, das Messer suchen!«
    »Ich habe überhaupt kein Messer«, sagte Siegbert.
    »Ich habe es doch selbst in Ihrer Hand gesehen, Sie haben einen Apfel geschnitten, gestern! Was erzählen Sie da, Füger? Hoffmann hat Sie niedergestochen, und aus falsch verstandener Kameradschaft –«
    »Das behaupten Sie«, entgegnete Siegbert matt. »Das Messer habe ich mir von jemandem geborgt.«
    »Von wem? Name!«
    »Was weiß ich, kann mich nicht mehr erinnern … Verfluchter Mist, daß ich so stürzen muß. Ich kann nicht laufen.«
    Hantsch befahl Tragenbau und ließ Siegbert in den Med.-Punkt bringen. Das Messer fand Falk. Er vergrub es, und sie mußten bis in die Abendstunden suchen. Da Siegbert bei seiner Version blieb und niemand etwas anderes aussagte, konnte Hantsch an Major Volick nur einen Unfall berichten. Die Verletzung war nicht ernsthaft, aber Siegbert hatte von nun an Innendienst.
    Was Meno eher irritierte und nachdenklich machte als amüsierte – Amüsement über gewisse Lebensdinge, hatte der Alte vom Berge ihm gesagt, setzte auch eine gewisse Form von Unmenschlichkeit voraus, von oberflächlichem Leichtnehmen, das betörend, entwurzelt und entschwert wie ein Ballon über die Tage zog und so mit ihnen tiefer nicht zu tun hatte –, was ihm so sonderbar vorkam, daß es ihn nicht nur erheiterte, war, daß erlebte Szenen sich wiederholen konnten, an einem anderen Tag zur gleichen Stunde, bei gleichem Sonnenstand in den Zimmern (wieder war es in der Karavelle), gleichen Gerüchen und gleicher Sitzordnung; sogar Regine war nach der Arbeit im Joseph-Stift mit heraufgekommen, wieder hatte sie den Platz neben Meno auf der schwarzen Ledercouch gewählt, gegenüber der »Tauwetterlandschaft« Querners, neben dem »Junost«-Fernseher der Hoffmanns und der Standuhr mit dem Westminsterschlag; wieder die gleichen Argumente zu Richards Offenbarung, und wieder war Richard wie eine Raubkatze auf- und abgelaufen. Unebenheiten im Bild hoben die verwirrende Übereinstimmung mit dem Abend vor zwei Tagen nicht auf, schienen sie im Gegenteil noch zu betonen, als ob die Szene nur gespiegelt würde und der Spiegel zugäbe: Ich könnte genau sein, wenn ich wollte, aber ich habe keine Lust dazu, denn dann würde mich schließlich jeder bemerken können, das macht keinen Spaß; meine Bemühungen sollen etwas für die besseren Beobachter bleiben. Richard und Meno standen jetzt auf der Veranda, sahen aus dem offenen Fenster in den Garten und tranken Bier.
    »Daß du das Wernesgrüner magst«, sagte Richard.
    »Finde ich feiner, sprossiger, waldiger als das Radeberger«, sagte Meno. – Warum hat er uns eingeweiht? Hat er Angst gehabt, es könnte vor seiner Aussage einer von uns dahinterkommen; glaubt er, es würde jemand von uns etwas wissen?
    »Es gibt immer bestimmte Bier-Typen, das ist mir aufgefallen«, sagte Richard. – Hält sich aus allem raus, der Schwager. Undurchsichtig. Mag ich ihn? Doch, irgendwie. Er ist kein Schaumschläger, kann den Mund halten. Warum hat er keine Frau? Ob er …

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