Der Turm
bißchen, das du nach Hause bringst. Schnorchel sagt, du könntest sofort bei ihm im Betrieb anfangen, sie suchen einen – wie hat er gesagt –, so eine Art Koordinator im Kombinat. Du könntest mindestens das Doppelte haben. – Der Brotwein war meine Idee, Gudrun. Ich trinke ganz gern mal ein Schälchen davon, und für eine Hochzeit wäre es doch mal was anderes gewesen, nicht wahr. Wir haben einfach zu spät angesetzt, Schnorchel meinte, die Heizsteller würden das richten … und dabei habe ich die Ballons noch mit Kokosfasern abgedichtet. – Na, enöff, jetzt werden Toasts ausgebracht, stoßen wir an.«
Christian stand am Fenster des Wintergartens und lauschte den Geräuschen, die von unten und aus dem Haus herandrangen, Stimmenschleier, Auflachen, Musik aus den Gärten jenseits des Parks, in dem leichter Wind Lichtfasern hin- und herhuschen ließ. Die Farben waren durch den Regen erfrischt, das noch junge Grün der Buchen und Ahorne mischte sich in unruhigen Wellen unter die Blüten von Mandelbäumen und Rhododendren, die am oberen Rand des abschüssigen Parks standen. Leise, laut; dazwischen Keile von Melancholie. Er wollte allein sein. Wenn er die Augen schloß, sah er Bilder aus der Grüner Kaserne vor sich, hörte Stiefelschritte auf den endlosen Fluren, hörte den langsamen, schwermütigen Tanz der Bohnerbartel, die beim Umschwung, knapp bevor sie an die Wände schlugen, ein charakteristisches Geräusch machten: Die Kugeln am Ende der Stiele klickten gegen die Kreuzführungen der Blockerbürsten, rissen sie zurück; diese roh gebändigte Eleganz erstaunte ihn immer wieder, und ebenso die Gleichmäßigkeit, mit der die Gewölbedecke der Flure abends, im Schein nackter Glühbirnen, Streifen um Streifen im Parkett wiederkehrte, nach all den Zertrampelungen des Tages. Unten hatte offenbar jemandeinen Witz erzählt, er hörte Adelings meckerndes Lachen, Alois Lange sagte mit klar zu verstehender Stimme, die Dänische Soße sei sehr gut. Kürschnermeister Noacks weißes Haar wurde von einer Wolke aus Pflaumenblüten aufgesogen, als er sich über das Büfett beugte, um seine Gabel in das blitzende Stricken der anderen Gabeln einzuspielen, die Gesichter darüber hatten einen hungrigen Ausdruck, die Augen befahlen den Händen hurtige, mißgönnende Stiche. All diese Dinge gingen ihn auf einmal wenig an; das Haus, die Menschen: alles erschien ihm fremd. Die Zivilkleidung, die er trug, kam ihm wie etwas Unerlaubtes, ihm nicht Zustehendes vor – er wäre nie auf die Idee gekommen, die anderen danach einzuschätzen, ob sie würdig seien, Zivilkleidung zu tragen; doch vorhin, als er neben Herrn Honich gestanden und den Gästen zugesehen hatte, wie sie einen Toast auf das Brautpaar ausbrachten, hatte er sich dabei ertappt, wie er unwillkürlich jeden einzelnen taxierte, ob er oder sie es wert war, hier zu sein, zu lachen, zu essen, mit den anderen fröhlich zu sein und Kleidung zu tragen, deren Auswahl ganz ihnen (sowie dem Angebot der Geschäfte) überlassen war, sie brauchten niemandem darüber Rechenschaft abzulegen. Wenn seine Mutter sich näherte, wich er aus. Ezzo und Robert, Niklas und Ulrich redeten über Fußball, Wembley, das Endspiel im Wankdorfstadion; Ulrich erklärte ein Fritz-Walter-Tor, den berühmten Leipziger Schuß mit der Hacke über Rücken und Kopf; Christian kam es belanglos vor, er konnte nicht verstehen, daß Ulrich es nachzumachen versuchte und einen Gelben Köstlichen vom Vorjahr an Herrn Adeling vorbei in die Remise schoß (Ulrich stützte sich mit den Armen und kippte mit dem Gesicht voran in ein Rhabarberbeet); Christian ging traurig weg. An der Zinkwanne spielten Kinder unter Aufsicht von Babett Honich; am Eisentisch saßen Stahls, winkten ihn zu sich, aber er schüttelte den Kopf. Nun war er hier, im Wintergarten, betastete die Pflanzen, als ob sie verschwinden könnten, suchte Chakamankabudibaba in seinem Versteck in der Sagopalme, bückte sich, legte die Hand auf den Schachbrettboden, der kühl war. Das staubfeine Licht wurde von Blattschatten wie von grauen Fischen durchschwommen, langsame Strömungsbewegungen, die ihn beruhigten, erfreuten. Bevor jemand kam, ging er in den Park.
One of those Ulrich-things, dachte Meno, als sein Bruder das Gesicht mit dem Kölnischwassertuch abwischte und freudestrahlend die Arme ausbreitete: Gelungener Schuß, würde er später sagen, das Foto von Malivor Marroquin in der Hand; der Chilene hatte seelenruhig mit dem Finger am Abzug einer
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