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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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ging, auch nicht. Bestimmt hat es inzwischen nicht geklappt, sonst wäre sie hergekommen.«
    »Wie soll ich das mit dem Aufschnitt machen? Hast du Einwickelpapier?«
    »Warte.« Anne ging zu Adeling, der nach draußen verschwand und kurz darauf mit einer Rolle Butterbrotpapier wiederkam. »Wie lange ist Jürgen schon fort?«
    »Zweieinhalb Jahre. Schrecklich. Wenn ich mir das vorstelle, Mo, Richard wäre drüben in München oder Hamburg, und ich säße hier allein mit den Kindern … Nein, ich will gar nicht an so was denken.«
    Draußen war es schneidend kalt geworden. Die Luft schien mit Sandpapierfingern an die Wangen und Nasenspitzen zu greifen. Es hatte zu schneien aufgehört. Lichtzelte hingen über den Kreuzungen, nur dort brannten noch Laternen; die Wege lagen dunkel, an einzelnen Stellen vom schwachen Mondlicht gestreift; die Häuser waren schwarze, gläsern konturierte Blöcke. Meno stützte Großmutter Emmy und trug in einer Tasche den größten Teil der Geschenke; Richard, der neben Anne ging, trug das Bild; siedas Barometer; Christian sein Cello; Tietzes waren etwas voraus, alle mit einem Beutel oder einer Tasche mit eingepackten Speisen über der Schulter.
    »Na, kleine Krankenschwester, die mich gesundgepflegt hat?« neckte Richard seine Frau. »Wie rot du geworden bist!«
    »Und er hat sich noch zu mir hin verbeugt, dein wohlinformierter Herr Professor Müller! Er hätte sich ja vielleicht bei dir erkundigen können, wie die Dinge liegen, ehe er diese Schwester Hannelore auf deiner Geburtstagsfeier, vor einem Halbhundert Leuten, mit mir verwechselt! Wie hätte ich denn damals schon Schwester sein können?« Anne schüttelte entrüstet den Kopf. »Noch nicht einmal Schwesternschülerin bin ich zu dem Zeitpunkt gewesen, und schon gar nicht in Halle!«
    »Er hat es doch nett gemeint, als Kompliment.«
    »Nett, Kompliment – ach, geh mir mit deinem Kompliment …« Anne stieß zornig einen Schneeball beiseite, der im Weg lag.
    »Wie du dich ärgerst! Komm mal her, du kleiner Käfer!« Richard packte sie, gab ihr einen Kuß.
    »Paß auf mit dem Bild … Und nenn’ mich nicht ›du kleiner Käfer‹ – du weißt ganz genau, daß ich das nicht leiden kann … Natürlich ärgert es mich! Bauchschmerzen soll er kriegen von dem vielen Kuchen, mit dem er sich vollgeschlagen hat!«
    Anne sah zu den Kindern, die auf der Straße liefen und einander lachend mit Schneebällen bewarfen. Hinter Anne und Richard gingen, in einigem Abstand, Emmy und Meno, dann Kurt Rohde mit Barbara und Ulrich; Alice und Sandor folgten.
    »Richard, ich bitte dich um eines: Du darfst nicht so offen reden vor so vielen Leuten, von denen wir manche gar nicht näher kennen. Wir wissen ja, wie Tietzes denken, oder Meno. Aber du weißt, daß Ulrich in der SED ist.«
    »Na, warum wohl. Weil er sonst nicht Direktor geworden wäre. Er ist doch nicht aus Überzeugung eingetreten. Er hat doch auch Augen im Kopf und seine fünf Sinne beisammen.«
    »Trotzdem. Du hast eine Neigung, immer lauter zu werden, wenn du dich in ein Thema hineinsteigerst. Kannst du für jeden deiner Kollegen die Hand ins Feuer legen? Siehst du.«
    »Müller hat gefährlich reagiert auf einen Witz, den Manfred gerissen hat. Wir standen am Büfett; Christian hatte gerade einenüber Breshnew erzählt. Da kam Müller an und ließ einen strammen Spruch ab – daß es unangebracht sei, über einen großen Toten zu lästern, den unser Brudervolk verloren habe, und daß wir uns unserer Stellung bewußt sein müßten, und ähnliches Zeug.«
    »Siehst du, das ist es, was ich meine. Und er stand weit entfernt, ich habe euch beobachtet. Du mußt an solche Sachen denken, Richard, versprich mir das! Beiß dir auf die Zunge! Du ermunterst ja Christian geradezu, und du weißt, wie er ist. Daß er nach dir kommt in dieser Hinsicht. Der Junge muß doch denken, wenn der Vater sich das getrauen kann, dann darf ich das auch.«
    »Glaube ich nicht, daß er das denkt. Du unterschätzt ihn. Aber du hast recht. Es geht immer wieder mit mir durch. Ich bin eben nicht so ein Taktierer und Schleimer, und ich will auch meine Jungs nicht so erziehen, herrgottnochmal!« preßte Richard wütend hervor.
    »Fluche nicht so. Weißt du, um Robert habe ich da nicht solche Angst. Er ist da ruhiger und irgendwie … klüger. Sagt in der Schule, was die dort hören wollen, denkt sich sein Teil, geht nach Hause und schaltet um. Aber Christian … So etwas darf nicht passieren, Richard, daß dein Chef mitbekommt,

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