Der Turm
verschwand im Fahrerluk.
»Jalousien Stellung fünf«, befahl Christian, leuchtete mit der Handlampe. Motten flogen, die Kiefern rochen nach Harz. »Stellung zwo!« Der Richtschütze und er trampelten die Triebwerksverriegelung zu. »Verriegeln!« Kontrolle an den Ösen: Der Trieb war geschlossen. Muska hatte schon das UF-Rohr justiert, verlegte die Bergetrossen, kordelte die Schwimmerbojen fest, vorn weiß, hinten rot. Bei der ersten UF hatte Christian sie verwechselt und sich dafür das Gebrüll des Schlepperkommandanten anhören müssen. Ein Panzer wurde bei Havarie an der Hecktrosse herausgezogen, an der die rote Boje befestigt war – »wenn du liegengeblieben wärst, hätt’ ich deinen Bug rumzerren müssen, sind schon Leute bei abgesoffen, du Knalldrüse!« –
»Lieber Christian: Hier ist das Kometenfieber ausgebrochen, alles summt Halley, Halley; selbst Herr Honich, den wir als robusten Materialisten kennen, hat zu den Vorträgen der Witwe Fiebig, neulich beim Anstehen nach Semmeln, keine seiner auf wissenschaftlicher Dialektik beruhenden Abweisungen vorgebracht – zu eindrucksvoll war es doch, wie in der Kometennacht (ich habe sie im Urania-Kreis in Arbogasts Sternwarte verbracht, Ulrich war dabei, Barbara und Gudrun kamen später), gerade in dem Moment, wo der Himmel aufklarte und die Sternbilder auf einmal in einem Reichtum erschienen, daß wir glaubten, babylonische Sterndeuter zu sein, – wie in diesem Moment die Uhren schlugen, alle gleichzeitig, so schien es, ferne und nahe; ein Plingen, Gongen, Glöckeln, Schellen, Blechen und Westminstern, als hätten sich die Ziffernblätter verabredet, und dabei war ja diesmal der Komet auf der Nordhalbkugel gar nicht zu sehen; nur Witwe Fiebig wollte das nicht glauben und reckte den Hals, schrie auch ›Dort, dort! Da ist der Schwefelschweif!‹, was aber nur ein Streich von Herrn Malthakus gewesen war, der einen anachronistischen Silvesterknaller aus den Rosen unterhalb desArbogastschen Institutsgeländes hatte steigen lassen. An einen Streich, eine nicht ganz glaubhafte Sache, dachten wir auch, als neulich Professor Teerwagen verhaftet wurde. Ein Spion soll er sein, heißt es; zwielichtige Geschäfte in Mexiko; die Frau scheint von alledem nichts gewußt zu haben und ist jetzt Patientin von Doktor Clarens in der Akademie. – Lange wird wunderlich. Am Kometenabend, nach den Vorträgen (Stahl sprach über Staudämme, Ulrich über die Babylonier), veranstaltete Arbogast eine Führung durch sein Anwesen, lächelnd und undurchsichtig wie immer, plötzlich ächzte der Schiffsarzt und faselte, auf eine versiegelte Flasche weisend: ›Aus Blei, sie ist aus Blei, und oben das Siegel, goldverkrustet – König Salomos Flasche!‹ – ›Aber Herr Lange, lachte Arbogast, wer wird denn solche Märchen glauben! Das ist ein im Weingeist gefangener achtzehnzwölfer Beute-Cognac, aus den Vorräten Kutusows, er hat sie an der Beresina dem flüchtenden französischen Generalstab abgenommen!‹ Libussa kommt manchmal herunter und nimmt mich beiseite: Das ganze Geld trage der Alois für Segelschiffe weg, Fotografien, Flaschenschiffe, Bücher; manchmal murmele er im Schlaf die Namen der Laeisz-Kapitäne, die Namen der Schiffe, kenne alle ihre Legenden, jedes ihrer Segel – dabei sei er doch selbst nie auf einem Segelschiff gefahren! Und was antworte er? ›Meine kleine Brunetka‹, erwidere er, ›ich muß mich doch auskennen, wenn das große Höllenschiff kommt und der Heuerbaas mich in die Mannschaft fordert …‹ Das sind so die neuesten Geschichten von hier oben. Wenn Du Bücher brauchst, laß es mich wissen. Libussa ruft mir eben einen Gruß für Dich zu. Sie will ein Paket mit Eingewecktem für Dich fertig machen. Frau Honich hat hier eine Timurhilfe für ältere Menschen eingeführt, geht für sie einkaufen, macht Behördengänge (immerhin, löblich), der Mann schleppt Kohlen, will auch das Paket zur Post bringen. Kann also sein, daß ein sozialistischer Gruß beiliegt für Dich. Ehrenvollerweise stehst Du ja für uns alle auf Friedenswacht. Du sollst es als Lebenserfahrung nehmen, ruft Libussa. Buchenswert, meint Kellner Adeling alias Mager. Es grüßt Dich herzlich Dein Meno«
25 Sekunden bei der Dichtprobe, der Zugführer hatte den Kompaniechef geholt, der hatte abgewinkt: »Fährt! Eh die Wanne voll ist, sind die drüben!« Christian saß auf der Ladeschützenseite, ab jetzt galt Funkverkehr über die Führungswelle der UF-Trasse; er war aufgeregt, durch das
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