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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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trüge; die Augen waren große dunkle Kleckse.
    »Nu-hull«, sang Burre. Tatsächlich, der sang. Was ihm einfiel, offenbar. »Wacht auf, Verdammte dieser Er-herde, Wann wir schreiten Seit’ an Seit’; Sah ein Knab’ ein Röslein steh’n«, und: »Spaniens Himmel breitet seine Sterne«. Das Strömungsgeräusch veränderte sich, plötzlich rutschte der Panzer nach rechts ab, sackte tiefer, bekam Schlag.
    »Was machst du, du Arsch!« Der Richtschütze trat nach unten, blieb aber mit dem Stiefel an der MG-Patronenhalterung hängen, trat noch einmal, stereotyp »Arsch, Arsch« wiederholend, in den Raum zwischen Zieloptik und Preßluftflaschen, wo Burres Rücken sein mußte. Und nun brach Wasser ein. Der Panzer hatte schon vorher geschwitzt, Christian hatte beobachtet, wie Tropfen aus der Fuge des Turmdrehkranzes wuchsen, hatte gedacht: Na gut, der schwitzt auch, ganz schön heiß hier drin. Sauna. Schweiß stieg von den Füßen, durch die grauen Militärsocken, in die Stiefel, wo er eine Weile warm vor sich hinschwappte; Schweiß rollte von der Streckseite der Oberschenkel zur Beugeseite, staute sich dort, kippte, wenn man sich bewegte, nach unten, mischte sich mit dem Fußschweiß; Schweiß tropfte vom Rücken in die Rinne zwischen den Gesäßbacken, man saß wie in warmer Suppe. Die Abdeckplatte Zwischengetriebe, fiel Christian ein. Er hatte sie nicht kontrolliert. Pfannkuchen war nach hinten geturnt, aber kurz darauf war der Befehl zum Fahrerwechsel gekommen. Eigentlich kriminell, dachte Christian, man reißt eingespielte Besatzungen nicht auseinander, schon gar nicht vor einer Nacht-UF. Der Ladeschütze fing Sickerwasser auf und rieb es zwischen den Händen. Christian sah den Richtschützen an. Er kannte nicht einmal seinen vollen Namen, nur den Nachnamen, und daß er in einem ThüringerDorf wohnte und Landmaschinenschlosser war. »Lenzen.« Die Lenzpumpe begann aufzukreiseln, blubbernde, schmatzende Geräusche, vertrauenerweckend. Komisch, daß ein Panzer Ähnlichkeiten mit einem U-Boot besaß. Die Lenzpumpe bewältigte das Wasser nicht. Es kam inzwischen auch aus dem Trieb in den Kampfraum, Christian wunderte sich, daß der Motor noch lief. Mußte Pfannkuchen gut abgedichtet und in Schuß gehalten haben. Der Funk ging immer noch nicht. Das Wasser stieg. Dem Richtschützen lief es an die Stiefel. Burre mußte schon mittendrin sitzen. Wie es roch: Mischung aus verbranntem Gummi und fossilem Hühnerei. Der Panzer neigte sich weiter. Christian suchte am Periskop, fand ein Fluchtlicht weit links. Sie mußten von der Trasse abgekommen sein. Da war jetzt wahrscheinlich oben was los – wenn sie es denn bemerkt hatten, was Christian hoffte. »Links, links«, schrie er, als der Panzer weiter nach rechts zog. Durch die allmählich beschlagende Taucherbrille sah er die anderen nur noch verschwommen. Dazu die dämliche Panzerhaube mit ihrem immer nasser werdenden Schafsfell. Wo kam nur das viele Wasser her? 25 Sekunden. Die Lenzpumpe schaffte es nicht –

    »Lieber Christian! Viel Neues kann ich Dir nicht schreiben. Hoffentlich kannst Du meine ›Enzianschrift‹ (so sagt Gudrun) lesen; ich rufe ja lieber an, als daß ich schreibe; aber da Du kein Telefon hast, heute diese kurzen Mitteilungen. Entschuldige den Anamnesebogen, hatte nichts anderes, kritzle zwischen zwei Konsultationen. Unsere Veranda ist inzwischen fast völlig vermorscht; vielleicht hat Dir Meno davon berichtet. Gesenkt hat sie sich auch, so daß die Fenster schief und die Scheiben gesprungen sind. Der Glaser hat die neuen gleich maßgefertigt schräg zugeschnitten. Das Material mußten wir beschaffen. Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen. Gottseidank hat sich das Leck im Dach nicht verschlimmert – Deine Dachpappe von damals ist nicht mit Gold zu bezahlen. Die Dachdecker sagten: Haben Sie ein Kontingent für Dachpappe? Eins für Kleber? Nein? Dann laß mal reinregnen, Kumpel! Neulich, ich saß auf meinem Lieblingsstuhl bei Pfeifchen und Tannhäuser (Max Lorenz, Staatskapelle, Fritz Busch), gab’s einen Knall, dann bröckelte Putz, einer derWandanker war herausgesprungen. Dachte ich mir: So bei Tannhäuser (noch dazu diesem) und eben angeschmauchter Pfeife, bei einem feinen Gläschen Likör langsam nebst Veranda in die Fichte zu sinken, könnte durchaus zu neuen Einsichten führen. Wir leben ja seit dreieinhalb Monaten, seit den strengen Januarfrösten, wie auf dem Bauernhof, beide Toiletten waren eingefroren, nur die Küchenwasserleitung funktioniert

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