Der Überläufer: Tweed 3
dem Zeigefinger seiner zur Faust geschlossenen Hand – in der er einen Lippenstift verbarg, den er vom Boden aufgehoben hatte. Hornberg bückte sich neben ihm nieder und nickte zustimmend. Beide Männer richteten sich auf.
»Das war sehr klug von Ihnen, Tweed. Bleiben Sie inzwischen hier, ich hole Doktor Schill.«
Während Tweed wartete, ließ Tweed den Lippenstift aus seiner Handfläche in die Tasche gleiten. Die Hülse war goldfarben, sah teuer aus. Er würde sie bei nächster Gelegenheit Ingrid zeigen. Für ihn bestanden nun nur noch wenige Zweifel, daß eine Frau an der Ermordung Peter Perssons beteiligt gewesen war.
28
Gegen Mitternacht saßen zwei Frauen vor dem Ankleidetisch in Helene Stilmars Zimmer im
Grand Hotel.
Die beiden Spiegelbilder waren verwirrend – so als lieferte der Spiegel auf befremdende Art und Weise zwei Abbilder ein und derselben Person.
»Glaubst du wirklich, daß wir damit durchkommen?«fragte Helenes Zwillingsschwester Eva.
»Wir müssen. Cord Dillon wird die Schiffskarte nach Helsinki benützen. Tweed ist hier, um Procane davon abzuhalten, aus Schweden zu entkommen. Es wäre ein großer Fehler, den sanften kleinen Engländer zu unterschätzen.«
»Er sah nicht sehr furchteinflößend aus, als ich unten einen Blick ins Restaurant warf.«
Sie unterhielten sich auf schwedisch, und im Zimmer herrschte eine angespannte Atmosphäre. Helene fühlte sich unter Druck.
Sie verbarg es geschickt, doch die Schwestern kannten einander so gut, daß sie ihre Gedanken und Gefühle gegenseitig erraten konnten.
»Vermutlich haben eine Menge Leute diesen Fehler gemacht«, erwiderte Helene. »Vergiß nicht, Eva, ich aß mit ihm im ›Capital‹ in London zu Mittag. Er ist äußerst gefährlich.«
»Aber du glaubst trotzdem, daß wir ihn reinlegen können?«
»Schau in den Spiegel.«
Eva, die in Stockholm lebte und mit einem Finanzberater verheiratet war, starrte wieder in den Spiegel. Sie hatte Helenes smaragdgrünes Lieblingskleid an, hochgeschlossen, mit einem Schal, den sie über die linke Schulter gelegt hatte.
Früh am Morgen des vergangenen Tages hatten sie einen der führenden Friseure Stockholms aufgesucht. Helene hatte das, was sie von diesem wollten, als einen Scherz ausgegeben.
»Wir wollen einem Mann, der mich dauernd belästigt, einen Streich spielen. Wir möchten, daß Sie meiner Schwester genau die gleiche Frisur machen, wie ich sie trage. Wir werden ihm eine Lehre erteilen.«
Der Friseur grinste. Er glaubte zu wissen, was diese zwei Frauen vorhatten. Auch hatte er bemerkt, daß sie auf die gleiche Art sprachen. Sogar ihre Stimmen waren sehr ähnlich. Der einzige Unterschied, den er feststellen konnte, war der, daß die, die erklärt hatte, was sie wünschten, einen amerikanischen Akzent hatte.
Helene hatte an der Bewältigung dieses Problems gearbeitet, indem sie mit Eva die halbe Nacht aufgeblieben war, um ihr einen amerikanischen Akzent einzudrillen. Es ging leichter, als sie sich vorgestellt hatte. Eva, die mit ihrem Gatten in der ganzen Welt umherreiste, hatte von Natur ein Sprachtalent. Sie beherrschte nicht nur ihre Muttersprache, sondern auch Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch.
»Goddamn it!« fluchte Eva auf englisch. »Ich hab genug von dem Gerede. Ich möcht mich hinlegen und schlafen.«
Helene applaudierte. Sie stand auf und schenkte Kaffee nach – aus der dritten Kanne, die der Zimmerservice gebracht hatte. Wenn der Kellner erschien, versteckte sich Eva jedesmal im Badezimmer.
»Das war perfekt«, erklärte Helene, während sie dem Kaffee Sahne beifügte. »Ich glaube nicht, daß du viel reden mußt, aber wir dürfen nichts übersehen. Wenn wir meinen Zaubertrick ausführen, muß er gelingen – und Tweed kombiniert messerscharf.«
»Tweed! Tweed! Tweed!« Eva schwang sich auf den Stuhl vor dem Ankleidetisch um die eigene Achse und streckte ihre Beine. »Ich hab genug von diesem Namen! Du machst ja einen verdammten Zauberer aus ihm.«
»Er hat seinerzeit einige ziemlich schlaue Tricks gelandet. Nimm’s nicht so schwer«, tröstete Helene ihre Schwester. »Trink den Kaffee, er wird dich munter machen.«
»Ich weiß nicht, warum ich mit diesem verrückten Plan einverstanden war«, fuhr Eva im gedehnten amerikanischen Tonfall fort. »Und ich hab nicht die Spur von einer Idee, was eigentlich vorgeht.«
»Aber du weißt, was du zu tun hast, wenn’s soweit ist. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn du dich damit in Gefahr begeben
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