Der Überläufer: Tweed 3
würdest.«
»Aber was ist mit dir, Helene? Was du zu tun vorhast, gefällt mir ganz und gar nicht. Etwas könnte schiefgehen …«
»Ich kann auf mich aufpassen. Also, ganz wichtig ist, daß wir einen geregelten Tagesablauf schaffen, der Tweed einlullt und in Sicherheit wiegt …«
»Und du glaubst wirklich, er fällt drauf rein?«
»Erfolg garantiert«, antwortete Helene.
Tweed stellte mit Erleichterung fest, daß seine alte Vitalität noch da war, die Fähigkeit, die ganze Nacht aufzubleiben und dennoch frisch und lebendig zu sein – wie jetzt, als Gunnar Hornberg in seinem Büro im Polizeihauptquartier die Befragung Cord Dillons fortsetzte.
Der Amerikaner mit dem harten Gesicht bewies ein ähnliches Stehvermögen unter psychischem Druck, aber er war ein jüngerer Mann. Der einzige Vorteil Hornbergs gegenüber Dillon war der, daß man Dillon ohne Vorwarnung um vier Uhr früh aus dem Bett geholt hatte. Hornberg selbst war mit einem Mitarbeiter zum Haus Karlavägen 72 C gefahren, hatte gewartet, während Dillon sich ankleidete, und war dann mit ihm zu seinem Büro zurückgekehrt. Eine Stunde war seit dem Beginn der »Befragung«, wie der SAPO-Chef es höflich nannte, vergangen.
»Mr. Dillon«, sagte er wieder, »einer meiner besten Leute ist mitten in Stockholm getötet worden. Das erfüllt mich mit Schrekken. Denn es bedeutet, daß nichts – und niemand – ungefährdet ist.«
»Ich habe es schon ein Dutzendmal erklärt«, erwiderte Dillon im selben gelangweilten Ton. Er machte eine Pause, um sich eine neue Zigarette anzuzünden. »Ich weiß nichts von einem Persson.«
»Aber warum gingen Sie um diese Stunde in den Straßen Stockholms spazieren, Mr. Dillon?«
»Das habe ich Ihnen gesagt. Ich gehe täglich zwei Meilen.«
»Immer in der Nacht? In Washington?«
»Nicht in Washington.«
»Nicht in der Nacht, meinen Sie?«
Dillon preßte angesichts der Beharrlichkeit des Schweden die Lippen zusammen. Tweed, der stumm neben dem Amerikaner auf der anderen Seite des Schreibtisches des SAPO-Chefs gesessen hatte, rührte sich. Er stellte seine Frage ruhig, als ginge es nur darum, überhaupt etwas zu sagen.
»Cord, Sie gingen in zwei aufeinanderfolgenden Nächten denselben Weg. Gunnar hat mir gesagt, daß Persson Ihnen folgte.«
»Na und?« war die Gegenfrage des Amerikaners.
Hornberg, mit hoch aufgestützten Unterarmen, die großen Hände verschränkt, die Brille über die Stirn hochgeschoben, beugte sich vor. Er sprach immer erst, wenn klar war, daß Dillon nicht die Absicht hatte zu antworten.
»Tweed hat Ihnen soeben eine sehr schwerwiegende Frage gestellt. «
»Und ich muß keine dieser gottverdammten Fragen beantworten.«
»Das ist wahr«, stimmte Hornberg zu. Seine Stimme färbte sich dunkel. »Aber wenn Sie es nicht tun, wird das zu einer argen Spannung in den Beziehungen unserer beiden Länder führen.
Nehmen wir einmal an, Sie wären in meiner Lage und man hätte einen ihrer Leute ermordet? Was wäre Ihre Reaktion?«
»Dieselbe wie die Ihre, nehme ich an.« Dillon schwenkte zur Seite, um Tweed anzusehen. »Sie wären genau derjenige, der jeden kleinen Unterschied in meinen Gewohnheiten merken würde.«
»Ich habe also recht?« fragte Tweed.
»Aufs Haar. Ja, ich ging absichtlich denselben Weg. In der ersten Nacht machte ich einen Spaziergang und bemerkte, daß man mir folgte. In der zweiten Nacht probierte ich aus, ob es stimmte. Und tatsächlich, man folgte mir.«
»Um wer?« fragte Tweed im gleichen sanften Ton.
»Der Mann, dessen Foto Hornberg mir zeigte – Persson. Er ging verdammt geschickt vor, aber ich habe selber einige Erfahrungen auf diesem Gebiet. Wer, glauben Sie, hat ihn getötet?«
Hornberg ignorierte die Frage. Er blieb bewegungslos hinter seinem Schreibtisch sitzen, einer großen Buddhastatue gleich, die Augen auf den Amerikaner geheftet. Statt dessen stellte er seine eigene Frage.
»Wann waren Sie sicher, daß jemand Ihnen folgte?«
»Nach etwa drei Vierteln des Weges auf der Drottninggatan. Kurz bevor man die Brücke erreicht.«
»Und wer folgte Ihnen – oder Persson – noch?«
»Niemand.« Dillons Antwort kam im Ton äußerster Gereiztheit.
»Ich verstehe.« Hornbergs Stimme verriet seinen Zweifel. »Ein Mann wie Sie hätte die Killer sehen müssen.«
»Sie wissen also, daß es mehrere waren?«
»Ja, wir wissen das. Die Drottninggatan ist um diese Stunde menschenleer. Sind Sie sicher, daß Sie niemanden sonst gesehen haben?« fragte Hornberg
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