Der Überläufer: Tweed 3
derselben Farbe wie die Fliesen auf dem nüchternen Gang draußen. Lysenko war ein Feind jeden Komforts. Die Aktenschränke gehörten Rebet. Der General wußte wenig von ihrem Inhalt – und er hatte nur einen schwachen Schimmer davon, wie Rebets Ablagesystem funktionierte.
»Sagen Sie mir das Unangenehmste zuerst«, brummte er.
»Es scheint so zu sein, daß Oberst Karlows Zweifel an Adam Procane nicht berechtigt sind. Ich habe drei voneinander unabhängige Berichte, die übers Wochenende hereingekommen sind – und alle drei sprechen davon, daß Procane auf dem Weg ist. Die Berichte stammen aus verläßlichen Quellen.«
»Welche Quellen sind das?«
Lysenko hatte die übliche Stellung am Fenster eingenommen.
Jenseits des Flusses kämpften sich die Menschen auf ihrem Weg in die Arbeit mühsam durch den Regen, der aus dem Baltikum hereintrieb. Es war ein trostloser Morgen, genau zu Lysenkos Montagmorgenstimmung passend.
»Unsere Botschaft in Paris, die Konsulate in Frankfurt und Genf«, berichtete Rebet in seiner knappen Art. »Der Militärattaché beruft sich auf eine unanzweifelbare Quelle. Seine Geschichte gleicht der aus Deutschland und der Schweiz.«
»Informieren Sie Moskau.«
»Habe ich bereits getan. In Ihrem Namen«, fügte Rebet hinzu.
»Gut, gut. Irgendein Hinweis auf seine wahre Identität?«
»Nichts dergleichen.«
»Der Mann ist vorsichtig. Auch das ist gut. Gibt es irgendein Anzeichen, welche Route er nehmen wird? Vielleicht sollten wir uns einen Plan dazu einfallen lassen?« schlug Lysenko vor.
»Wie können wir das bei dem Stand der Dinge? Wir haben es mit einem Mann aus Glas zu tun.«
»Wir könnten jede Botschaft und jedes Konsulat alarmieren, vorbereitende Schritte für jeden Fall zu unternehmen.«
»Könnte sich als unklug erweisen. Bedenken Sie, wie viele Leute dann von Procane wüßten. Irgendeiner läßt ein unbedachtes Wort fallen, und schon ginge es nach Washington. Ich schlage vor, wir warten noch eine Weile. Wir könnten uns mit Karlow beraten. Er war der erste Kontaktmann dieses Mannes aus Glas.«
»Sie meinen, wir rufen Tallinn an?«
»Auch das wäre, mit Respekt, unklug, General. Wir wissen noch immer nicht, wie weit die amerikanischen Nachrichtensatelliten in unser Telefonsystem eingedrungen sind. Es wäre besser, ich fliege nach Tallinn und rede mit Karlow persönlich.«
»Einverstanden. Mit Vorbehalt. Im Moment überlasse ich Ihnen alle Entscheidungen bezüglich Procane. Während Sie weg sind, werde ich die Sache schriftlich niederlegen. Oder, noch besser, ich diktiere die Weisung, und Sie können sie gleich mitnehmen.«
Lysenkos Ton wurde breit und herzlich, er schlug Rebet mehrmals auf die Schulter. »Das gibt Ihnen mehr Autorität, wenn Sie mit Karlow zusammen sind.«
»Danke.«
Rebets Gesichtsausdruck zeigte keinerlei Regung. Das waren wieder Lysenkos alte Tricks. Schriftlich niederlegen, daß ein Untergebener die Leitung eines Unternehmens hat, das schiefgehen kann.
Lysenko wußte nur zu gut, daß jedes Unternehmen fehlschlagen konnte. Das war dann der Moment, den anderen in den Dreck fallen zu lassen. Lysenko verstand es, andere ins Feuer zu schikken. Halt dir stets den Rücken frei! Wie wird man sonst General?
Der Hubschrauberpilot hieß Jorma Takala. Er kam am Montag um neun Uhr morgens ins
Kalastajatorppa,
und Newman, der seine Hotelrechnung bereits beglichen hatte, lud ihn auf eine Tasse Kaffee in den Frühstücksraum ein. Sein Gepäck neben sich abstellend, fühlte Newman sich erleichtert, weil er feststellte, daß Takala, wie viele Finnen, ausgezeichnet Englisch sprach.
»Das ist die Dame, von der ich spreche«, erklärte Newman und zeigte Takala das Foto von Alexis. »Erkennen Sie sie wieder?«
»Ich kann mich gut an sie erinnern – eine schöne Frau, die genau wußte, was sie wollte. Ihre Freundin?« fragte er vorsichtig.
»Meine Frau. Sie hat wahrscheinlich ihren Mädchennamen angegeben, Alexis Bouvet.«
»Ja, das hat sie getan.«
Der Pilot zögerte, schaute Newman prüfend an. Er mußte etwa um die Dreißig sein, schätzte Newman, ein großer, blondhaariger Mensch in Overall und Turnschuhen. Takala nahm einige Schlukke Kaffee, bevor er weiterredete.
»Ich habe den Zeitungsartikel gelesen. Es tut mir leid, daß Ihre Reise nach Finnland aus so traurigem Anlaß erfolgen muß.«
»Danke. Also machen wir weiter. Ich muß wissen, wohin Sie sie geflogen haben – ich will nicht nur genau dieselbe Route fliegen, sondern auch nach genau demselben
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