Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Überläufer: Tweed 3

Der Überläufer: Tweed 3

Titel: Der Überläufer: Tweed 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
Vom Netzwerk:
stellte sich heraus, daß das noch eine Untertreibung war. Schitow saß an einem Ecktisch, tat, als lese er das
Journal de Genève
und hatte vor sich mitten auf dem Tisch eine ungeöffnete Flasche Bier aufgepflanzt, wie Charvet ihn instruiert hatte. Er setzte sich dem Russen gegenüber.
    Schitow war schon halb betrunken. Die Alkoholfahne wehte über den Tisch. Auch hatte Schitow Mühe, die Zeitung, die am einen Ende total zerknittert war, zusammenzufalten. Und die Zeitung war nicht das einzig Zerknitterte an ihm.
    Lew Schitow war klein, dick und hatte fettiges, ungepflegtes schwarzes Haar. Charvet schätzte ihn auf Ende der Dreißig. Das Gesicht war ungeschlacht, die Augen traten aus den Höhlen, die Lippen waren schlaff und formlos. Er trug einen verknautschten Regenmantel, dessen mehrfach eingedrehter Gürtel so fest zugezogen war, daß Schitow darüber und darunter hervorquoll.
    »Ich bin Charvet. Es ist zu früh für Schnee auf den Bergen.«
    »Aber der Rhein fließt hier schnell.«
    Er redete mit schwerer Zunge, und eigentlich hätte er »Rhône«
    statt »Rhein« sagen müssen. Er brachte ein fleckiges Fläschchen zum Vorschein, schraubte mit Mühe den Verschluß ab und nahm einen tüchtigen Schluck. Dann hielt er Charvet das Fläschchen hin.
    »Wodka«, flüsterte er. »Nehmen Sie auch einen Schluck.«
    »Danke, später.«
    »Ich möchte, daß Sie einem UNESCO-Beamten folgen – Engländer. Heißt Peter Conway«, murmelte der Russe.
    »Wohin er geht. Wen er besucht. Wie lange er bleibt. Mit wem er sich trifft. Fotos, wenn möglich. Frauen insbesondere?«
    Charvet betete die Liste aller möglichen Dienstleistungen herunter. Er sah, daß Schitow bei diesem Gespräch Anregung und Hilfe brauchte. Mit der Erwähnung von Frauen hatte er auf den richtigen Knopf gedrückt. Schitow zwinkerte auffällig mit seinem rechten Auge und holte sich weiteren Beistand aus seinem Fläschchen.
    »Frauen«, wiederholte er. »Der Mann, den ich ablöse, hat mir ein paar Adressen gegeben. Sagt, daß keiner Marie-Claire Passy versäumen darf. Hat Titten wie Kanonenkugeln. Ich hab eine Verabredung mit ihr. Hab sie gleich nach Ihnen angerufen. Sie wartet.
    Peter Conway wohnt in diesem Haus.«
    Charvet kam aus dem Staunen nicht heraus. Dieser Narr vor ihm hatte Namen und Adresse zu Papier gebracht, auf einem schmierigen Zettel, den er jetzt ohne jeden Versuch, es verdeckt zu tun, über den Tisch schob. Charvets Hand schloß sich darüber. Schitow grinste albern und sah sich im Café um.
    »Das hier ist besser als Tallinn. Besser als die Arbeit unter diesem Schwein von Karlow. Wenn wir Glück haben, wird er als nächster umgebracht, bevor er Procane aufstöbert. Ich mag diese Bar«, schwatzte er vor sich hin und schaute wieder um sich. »Haben Sie eine Ahnung, wie spät es ist?«
    »Ein Viertel nach vier.«
    »Du liebe Zeit, mein Rendevouz mit der Passy ist jetzt!«
    »Ich zeige Ihnen, wie Sie hinkommen. Haben Sie Ihr Bier bezahlt?
    Kommen Sie.«
    Charvet hatte einen raschen Entschluß gefaßt. Er bezweifelte, daß Lew Schitow sich in der Altstadt allein zurechtfinden würde.
    Außerdem wurde er auf dem Weg möglicherweise von der Polizei aufgegriffen.
    Er faßte Schitow am Arm und geleitete ihn aus dem Café und den steil bergauf führenden Gehsteig entlang, der sich hoch über der gewundenen, mit Kopfsteinen gepflasterten Straße befand. Charvet kannte Marie-Claire Passy noch aus seiner Dienstzeit bei der Polizei; er blieb vor einem winkeligen alten Gebäude stehen und drückte den Klingelknopf. Er schob Schitows Kopf nahe an die Gegensprechanlage, als die helle, scharfe Stimme eines Mädchens erklang.
    »Wer ist da?«
    »Lew. Ich hab angerufen …«
    »Kommen Sie herauf. Erster Stock.«
    Charvet drückte die Tür auf, als der Summton zu hören war, und schob Schitow ins Innere. Er folgte ihm einige Schritte nach, deutete die wackelige Treppe hoch und flüsterte: »Erster Stock.«
    Als das automatische Türschloß eingeschnappt war, rannte Charvet die Straße hinunter zur nächsten Telefonzelle. Er suchte Marie-Claires Nummer heraus – und wählte. Sie meldete sich mit ihrer hellen, scharfen Stimme.
    »Hallo?«
    »Hier ist Alain Charvet. Sie haben einen Kunden. Kann er mithören?«
    »Sie machen Witze, Alain. Der hört nicht einmal den Donner des Jüngsten Gerichts. Außerdem ist er im Bad.«
    »Eine Gefälligkeit. Bettgeflüster nach dem großen Erlebnis. Versuchen Sie ihn über Estland zum Reden zu bringen. Und über einen Mann namens

Weitere Kostenlose Bücher