Der Überläufer: Tweed 3
dem Taxi über Sergels Torg, den großen Platz im Zentrum von Stockholm mit der etwas kuriosen säulenartigen Skulptur aus glasartigem Material. Und vollends erleichtert war sie, als sie sah, daß das Taxi vor dem
Grand Hotel
anhielt.
Ingrid fuhr in die einzige verbleibende Parklücke vor dem Hotel.
Ein anderer Wagen war offenbar soeben weggefahren. Sie schloß den Volvo ab, stellte die Parkuhr ein und ging noch vor Helene mit dem Koffer in der Hand die Stufen zum Hotel hinauf.
Dieses Manöver gelang nur, weil Helene drei Koffer hatte, die aus dem Taxi ausgeladen und von einem Träger hineingetragen werden mußten. Ingrid fragte sich, warum sie für einen kurzen Aufenthalt soviel Gepäck brauchte. Den Eindruck, daß es sich nur um eine Spritztour handle, hatte sie nach dem Gespräch mit Tweed gehabt.
Ingrid stand mit dem Koffer zu ihren Füßen in der Nähe des Empfangspults und tat, als warte sie auf jemanden. Helene trug sich ein. Sie hörte, wie der Mann an der Rezeption dem neuen Gast die Nummer eines in der sechsten Etage liegenden Zimmers mitteilte. Sie beobachtete, wie Helene in den ältesten der drei Aufzüge trat, eine Aufzugkabine mit Goldanstrich und roter Lederpolsterung. Als die Türen des Aufzuges sich schlossen, trat sie ans Empfangspult und redete den Bediensteten auf englisch an.
»Ich möchte ein Ferngespräch führen. Mit London. Hier ist die Nummer. Bitte, stellen Sie fest, wieviel es kostet. Ich zahle gleich nach dem Anruf.« Sie hielt inne. Hier war man eigentlich sehr der Öffentlichkeit ausgesetzt, wenn man mit Tweed telefonierte.
»Nein, ich habe es mir anders überlegt. Ich rufe von meinem Zimmer aus an.«
Den Koffer aufnehmend, ging sie die wenigen Schritte zum Zimmerbestellservice am hinteren Ende der Empfangshalle. Eine junge Dame kam herbei und fragte, ob sie helfen könne.
»Ich möchte ein Zimmer für drei Tage, bitte. Haben Sie etwas auf der sechsten Etage? Vorne hinaus. Ich liebe die Aussicht von dort …«
»Nur ein Doppelzimmer. Es kostet eintausend Kronen für die Nacht. Frühstück ist Inbegriffen.«
»Ich nehme es.«
»Zimmer 634.« Die junge Frau schrieb Zimmernummer und Preis auf ein blaues Faltkärtchen, das auf seiner Vorderseite in Farbe die Vorderfront des Grand Hotels zeigte, eine Nachtaufnahme mit den Lichtreflexen der Straßenlampen, die wie scharfe Blitze auf ruhendem Wasser aussahen. Dann fügte sie noch das Datum von Ankunft und Abreise hinzu.
»Ein Träger wird …«
»Ich brauche keinen«, fiel ihr Ingrid ins Wort. »Ich kann meinen Koffer selber tragen. Ich hab’s nicht eilig.«
Sie empfing den Zimmerschlüssel aus der Hand der jungen Frau und betrat denselben Lift, der auch Helene Stilmar zu ihrem Zimmer hinaufbefördert hatte. In der sechsten Etage angelangt, orientierte sie sich anhand der Wandschilder, die angaben, in welcher Richtung die einzelnen Zimmer lagen, durchquerte die menschenleere Halle, in der mehrere bequeme Sessel herumstanden, und steckte den Schlüssel ins Schloß von Zimmer 634.
»Tweed ist nicht hier, Ingrid«, sagte Monica am Telefon. Sie redete weiter, um die Schwedin zu beruhigen. »Er wußte, Sie würden anrufen, und bat mich, Ihre Nachricht entgegenzunehmen. Ich kann ihn nicht anrufen, aber er wird es tun. Er hat mir hier die Aufsicht überlassen, ich sitze an seinem Schreibtisch. Er wird wissen wollen, wie Sie zurechtkommen. Das sagte er mir, bevor er wegging.«
Wie Tweed bemühte Monica sich, sich einfach auszudrücken.
Gott, dachte sie, wie furchtbar sind wir Briten doch, daß wir keine Fremdsprachen lernen. Wir überlassen es den Ausländern, unsere zu erlernen. Jetzt begann Ingrid zu sprechen, überlegte genau jeden Satz, den sie sagte, weil das Gespräch über eine Telefonzentrale lief.
»Unser Beobachtungsobjekt nahm ich auf dem Flugplatz in Empfang. Es hat sich im ›Grand Hotel‹ für sieben Tage ein Zimmer genommen. Zimmernummer 636. Hat viel Gepäck, drei große Koffer.«
»Von wo sprechen Sie, Ingrid?«
»Vom Zimmer im ›Grand Hotel‹, das ich mir genommen habe.
Meine Zimmernummer ist 634. Wenn ich nicht hier bin, wenn Sie anrufen, dann hinterlassen Sie bitte Nachricht an der Rezeption.
Geben Sie meinen Namen und meine Zimmernummer an. Die Telefonnummer des Hotels ist 08 2210 20.«
»Ich habe verstanden, Ingrid. Seien Sie vorsichtig.«
»Kommt er her?«
Angst und zugleich Hoffnung klangen aus ihrer Stimme. Monica überlegte rasch, ehe sie antwortete.
»Man kann nie sagen, wann er wo
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