Der Überlebende: Roman (German Edition)
Gebiss, weder am Ober- noch am Unterkiefer sieht man die Zahnhälse und das Zahnfleisch. Die oberen Schneidezähne waren immer regelmäßiger als die unteren, es lag nahe, dass er irgendwann in seiner Boxkarriere einmal die oberen Schneidezähne eingebüßt hatte und sie durch Kronen oder eine Brücke ersetzt waren. Aber auf den Gedanken, er könne ein Gebissteil tragen, konnte niemand kommen. Auch im Krankenhaus hatte ich ihn nie ohne Zähne gesehen. Er nahm das Teil heraus und legte es auf den Schreibtisch. Dazu machte er Bewegungen mit dem Mund, als ob er kaue, und fuhr mit der Zunge über den Oberkiefer, wo früher Zähne gewesen waren. Das Gebiss auf dem Schreibtisch war mit Speichelschlieren überzogen, er legte weder ein Taschentuch noch ein Blatt Papier unter. Als er nach einiger Zeit das Teil wieder in den Mund steckte, wischte er den Schreibtisch nicht ab. Die Stelle, auf der das Gebiss gelegen hatte, glänzte feucht. Der Anblick war ekelhaft. Warum ließ er sich keine Implantate einsetzen?
Peter verhielt sich, als ob seine Karriere zu Ende wäre, als ob er mit seinem Leben abgeschlossen hätte. Er traute der Welt nicht mehr, traute ihr alles und sich nichts zu. Seine Versagensängste hatten ihn nicht nur eingeholt. Er war jetzt seine Angst. Dabei war nicht wirklich etwas passiert. Rockwell wurde der Lieferant der Y AG, man würde sehen, für wie lange. Nach allem, was wir wussten, konnten wir froh sein, den Auftrag nicht bekommen zu haben.
Meine und deine Welt als Rohstoffreservoir, Maren. Ich dachte mir, es muss doch trotzdem Berührungen geben von uns mit fertigen Dingen, mit abgeschlossenen Gedanken! Die Chance, etwas vom Gewähren der Welt zu begreifen –
Ich habe sie vertan, die Chance.
Zusammen mit Sondra schrieb ich einen Report, in dem wir den Angebotsprozess dokumentierten. Damit fuhr ich zum Leiter unserer Geschäftseinheit nach Berlin. Anschließend verkaufte er es als seinen Erfolg, dass D’Wolf den Auftrag nicht angenommen hatte, weil die Preise so schlecht waren.
Ich habe Peter bloßgestellt. Vor den Y-Leuten und in dem Report. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte zwei Kalkulatoren dazu gebracht, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen. Auch wenn sie etwas schräg aussahen, unsere Preise für die Prozessormodule waren richtig. Während wir die Ergebnisse auf den Bildschirmen sichteten, die beiden Kalkulatoren in ihrem, ich in meinem Büro, kamen wir darauf, dass bei den Eingangs-Ausgangsmodulen ein Irrtum passiert sein musste. Bis heute weiß ich nicht, woran es lag, ob es ein Fehler des Kalkulationsprogramms war oder ein Versehen des Kalkulators. Jedenfalls war in dem Angebot eine bestimmte Sorte von Eingangs-Ausgangsmodulen mit viel zu niedrigen Preisen angesetzt, darunter einige Rennertypen. Auf diese noch einen Nachlass zu geben wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Der Einkaufsvorstand verlangte, dass die Preise drei Jahre konstant bleiben sollten, und akzeptierte auch keine Preisgleitklauseln für das Material. Ein guter Lieferant steigert seine Produktivität kontinuierlich, damit macht er die Preissteigerungen beim Material mehr als wett und verdient sich eine goldene Nase. Wir argumentieren gegenüber unseren Lieferanten auch nicht anders.
Als Peter und Sondra in die Abschlussverhandlung gingen, hatten die Kalkulatoren noch nicht zu Ende gerechnet. Weil sie sich nicht sicher waren, warnte ich Peter und Sondra nicht vor. Jede Sekunde zählte – ich wies die Kalkulatoren an, sobald sie die richtigen Preise ermittelt hatten, unverzüglich Sondra zu briefen und mich erst danach zu informieren.
Sondra konnte nicht sagen: Wir haben uns in der Kalkulation geirrt, bei Rennertypen eines dreistelligen Millionenauftrags. Sofort wäre es in der Branche herumgewesen, jeder Vertriebsmann von D’Wolf hätte sich bei jeder Preisverhandlung von jedem Kunden anhören müssen, ihr wisst ja nicht, was für Preise ihr macht. In dem Report konnte ich ebenfalls nicht zugeben, dass wir uns verkalkuliert hatten. Die Controller aus Berlin wären wie ein Schwarm bösartiger Insekten über uns hergefallen.
Ich konnte es nicht anders darstellen, als dass Peter in dem Eifer, einen Referenzauftrag an Land zu ziehen, seine Kompetenzen überschritten hatte und ich ihn in seine Schranken weisen musste. Zu seiner Entlastung brachte ich den regionalen Vertriebsbeauftragten ins Spiel, er habe Peter falsch informiert, der Vertriebsbeauftragte konnte sich ja nicht mehr wehren.
Ich gab Peter
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