Der Überlebende: Roman (German Edition)
den Report. Er las ihn mehrmals durch, um ihn dann verächtlich auf meinen Schreibtisch zu werfen. Mühsam stand er auf, wie ein alter Mann schlurfte er zur Tür. Auf dem Weg dorthin drehte er sich um. Er sagte, mit zuckendem Adamsapfel, er habe seinen Stolz. Nie habe er um etwas gebeten. Seine Stimme starb ihm jämmerlich ab. Er bewegte seinen Mund in der Art und Weise, wie ich es beobachtet hatte, als er sein Gebissteil herausgenommen hatte. Dann ließ er sich auf die Knie nieder.
Wir waren allein in meinem Büro, trotzdem blickte ich mich um, ich hatte Angst, jemand könne mitbekommen, wie Peter vor mir auf die Knie ging. Ich schaltete auch den Computer aus, ich fürchtete, was auf dem Bildschirm war, könne mich, ihn, uns beobachten.
Während ich auf ihn zuhastete, stammelte er immer wieder: »Bitte! Bitte!«
Ich griff nach seinen Händen und wollte ihn hochziehen, aber er wedelte mit den Armen und ließ es nicht zu. Auf einmal fasste er nach mir. Ich hatte Angst, er wolle mir die Hände küssen.
Er bettelte, ich solle den Report abändern und schreiben, dass der Fehler in der Kalkulationsabteilung passiert war, dass die Kalkulation falsch war, dass er nicht seine Kompetenzen überschritten hatte. Das konnte ich nicht.
Als Peter im Koma lag, da habe ich gefürchtet und zugleich gehofft, ein Genug zu hören, wenn er wieder aufwachen würde. Aber es gibt wohl kein Genug für mich.
Ich war für die Kalkulationsabteilung verantwortlich, wenn sie einen Fehler machte, musste ich dafür einstehen. Ich war auch für Peter verantwortlich. Aber seinen Fehler lastete mir niemand an, nach der ganzen Vorgeschichte. Ich hatte Peter helfen wollen, indem ich ihn zum Teamleader für die Verhandlungen gemacht hatte, und der Leiter der Geschäftseinheit hatte es genehmigt.
Ich hatte zudem Burgi erneut eingestellt und damit gegenüber Peter Wiedergutmachung geleistet. Es war noch nicht aller Tage Abend. Peter würde es gelingen, sein Gedächtnis wiederzuerlangen. Das wäre doch gelacht. Aber hinterrücks hatte sich die Gewissheit angeschlichen: Selbst wenn sein Gedächtnis wiederhergestellt wäre, nie mehr würde unser Verhältnis werden wie früher. Ich stand an einem klammen Gefühlsabgrund und blickte in eine ungeheure Verlassenheit.
Beschwerlich richtete Peter sich auf. Er zog Jacke und Krawatte zurecht, seine Miene war eine Mischung aus Ungläubigkeit und Trotz. Er konnte nicht glauben, was ihm zugestoßen war. Mit gesenkten Schultern trottete er wieder zur Tür.
Ich hatte das Bedürfnis, ihm nachzugehen und ihn am Arm zu fassen, wie man einer alten Frau hilft, eine vielbefahrene Straße zu überqueren. Laut rief ich seinen Namen. Unerwartet rasch wandte er sich um. Schon bevor ich Peter kommen ließ, hatte ich mich in das Total-Recall-System eingeloggt, um ein kanadisches Labor von D’Wolf zu beobachten. Im selben Augenblick ging das leise Gemurmel aus dem Lautsprecher in ein lautes Rauschen über.
An diesem Tag erregte sich auch die Sonne. Das Magnetfeld der Erde wirkt wie ein Schutzschirm, bei starken Sonnenstürmen wird es durch die emittierten Partikel gequetscht und geschüttelt. Dann fegt ein elektromagnetischer Sturm über die Erde, der in den Stromleitungen gewaltige Induktionsströme erzeugt, in Transformatoren brennen Spulen durch, das ganze Stromnetz kann zusammenbrechen. Genau das passierte in Kanada, deswegen wurde die Leitung unterbrochen.
Peter machte einige Schritte zu mir hin, den Arm ausgestreckt, die Finger gespreizt. Er riss den Mund ganz weit auf und sagte heiser etwas. Es wurde übertönt von dem zischenden Geräusch aus dem Lautsprecher, aber ich verstand es dennoch: Peter verfluchte mich. Dafür, dass ich in dem Report wahrheitswidrig angegeben hatte, er habe seine Kompetenzen überschritten.
Obwohl er den Mund so weit öffnete, waren die beiden Zahnreihen nahe beieinander. Das Gebissteil hatte sich gelockert.
Sein Fluch hallte noch lange in meinem Büro nach. Erst nach Minuten fand ich aus meiner Trance und schaltete das wiederhergestellte Bild aus Kanada ab.
Über eine Kamera auf den Parkplätzen sah ich danach, wie Peter vor dem Schein am Horizont die Fahrertür seines Wagens aufmachte. Im Verlauf von Sonnenstürmen wird auch verstärkt Röntgenstrahlung freigesetzt, gelangt sie in die Erdatmosphäre, dehnt diese sich aus. Die Moleküle der Lufthülle vergrößern die Reibung im erdnahen Weltall, dadurch werden Raumfahrzeuge gebremst, die mit der Atmosphäre in Kontakt kommen. Später
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