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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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der anderen Seite hielt der Einkaufsvorstand eine Besprechung mit Architekten und Bauingenieuren ab – auf mehreren zusammengestellten Tischen, die wie Bahren aussahen, waren Architekturmodelle aufgestellt und Pläne platziert. Ein Beamer warf auf eine unmittelbar am Abgrund aufgestellte Leinwand eine Präsentation, in der sich Text und Grundrisse abwechselten.
    Sondra wartete schon neben der Leinwand, keiner kümmerte sich um sie. Es schien, als versuche sie, dort unten im Wasser etwas zu erkennen. Als der Einkaufsvorstand Peter kommen sah, hob er die Hand, und das Gemurmel, das die Kuppel erfüllt hatte, brach schlagartig ab. Er nickte Peter zu, während er zum Computer ging. Er schloss die Datei mit den Bauplänen, auf der Leinwand erschien jetzt das Angebot von D’Wolf. Ohne dass er etwas gesagt hätte, verließen alle, die nicht zu seinem Verhandlungsteam gehörten, den Raum. Jetzt erst bemerkte Sondra, dass Peter eingetroffen war.
    Als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt gewesen wäre, die Abschlussverhandlung – war es die Abschlussverhandlung? – in dem Bunker zu führen, forderte der Einkaufsvorstand Peter und Sondra auf, das Angebot noch einmal mit ihm durchzugehen. Die Technik, die D’Wolf anbiete, entspreche dem, was die Y AG für erforderlich halte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten er und seine Mitarbeiter sich streng gehütet, irgendetwas zu äußern, was auch nur in die Nähe einer Festlegung gerückt werden konnte. Das Problem, das mit dem Protokoll aufgetreten war, erwähnte er mit keinem Wort. Die Y AG wolle mit D’Wolf zusammenarbeiten, wenn die Preise stimmten. Er sprach aus freundlich bewegtem Gemüt. Das Verhandlungsteam von D’Wolf habe genug Zeit gehabt, sich über die Preise noch einmal Gedanken zu machen.
    Es schien, als habe es die unmittelbare Vorgeschichte nicht gegeben: nach der tagelangen grenzenlosen Freundlichkeit jedes einzelnen Mitglieds des Y-Teams gegenüber dem D’Wolf-Team im Hotel wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Attacke des Dicken auf den regionalen Vertriebsbeauftragten und der Gewissenskampf – oder die Theatervorstellung? – mit Peter als Publikum. Für einen Moment keimte in Peter der Gedanke auf: Der Einkaufsvorstand war der Kapitän und der Dicke der Steuermann, aber in Wahrheit hatte der Dicke das Schiff übernommen, und der Kapitän war nur die Marionette seines Steuermanns. Jetzt, als der Raum nicht mehr von geschäftigem planerischem Murmeln erfüllt war, hörte man an manchen Stellen stetige Tropfgeräusche. Regen- oder Kondenswasser gesellte sich dem Grundwasser hinzu.
    Peter hatte sich entschlossen, genau fünf Prozent Preisnachlass zu geben und nicht mehr. Er war zu der Überzeugung gekommen, der Dicke habe ihm etwas vorgemacht und sei zugleich ehrlich gewesen. In höherem Auftrag verleitete er ihn dazu, den gewünschten Preisnachlass zu geben, aus eigenem Antrieb versuchte er, Peter klarzumachen, dass er sich in keinem Fall auf weitere Preisrunden einlassen solle. Peter passte das Angebot so an, wie es die Datei nahelegte, die er gesehen hatte.
    Als man bei den Eingangs-Ausgangsmodulen angekommen war, meldete sich das stummgestellte Telefon Sondras durch Vibration. Unter dem sehr ungehaltenen Blick des Einkaufsvorstands telefonierte Sondra kurz, Peter machte weiter. Noch bevor sie das Telefon herunternahm, unterbrach sie ihn. Sie erklärte, er habe keinerlei Autorisation, über Preise zu verhandeln oder Preise auch nur unter Vorbehalt zu machen. Sie wies ihn an, sofort den Raum zu verlassen.
    Während er ging, hörte der fassungslose Peter noch, wie Sondra erklärte, sie und nur sie sei berechtigt, Preise zu machen. Sie entschuldigte sich beim Einkaufsvorstand. Er solle vergessen, was bis jetzt gewesen sei, sie würden das Angebot noch einmal von Anfang an durchgehen.

    Peter starrte auf den leeren Bildschirm vor sich, mir in die Augen, ohne es zu wissen. Er trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, ich zoomte auf seine Hand. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er so lange Fingernägel hatte. Natürlich boxte er nicht mehr. Die Nägel waren gelblich, voller Rillen, zum Teil blutunterlaufen oder abgerissen, wie die eines uralten Mannes. Er tippte nicht mit den Fingerkuppen, sondern mit den Fingernägeln auf den Schreibtisch, das Geräusch war nicht zu ertragen.
    Kein goldiger Bursch, kein Berücker mehr. Ich hatte nicht gewusst, dass er im Oberkiefer ein Gebissteil trug. Wenn er lacht, entblößt er nicht sein komplettes

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