Der Überlebende: Roman (German Edition)
Nachlässe. Die Preise, zu denen die Y AG eingekauft hatte, konnten aus der Sicht der Lieferanten schlichtweg nicht vertretbar gewesen sein. Wie hatte der Einkaufsvorstand die Lieferanten zu diesen Nachlässen gebracht? Die Antwort durfte Peter sich selbst geben: Indem er erst unglaublich freundlich gewesen war und dann eine unvorhersehbare Folge von Preisrunden gefahren hatte.
Peter kam nicht dazu, darüber nachzudenken, warum der IT-Spezialist ihm diese Informationen zugänglich machte, denn der riss ihm den Rechner vom Schoß, um eine andere Datei zu öffnen. Er knallte das Notebook derart vor Peter auf das Armaturenbrett, dass alles wackelte. Die Datei enthielt Personenbeschreibungen, über dem Textteil prangte jeweils ein Foto. Lebensläufe und Tätigkeitsbeschreibungen von Führungskräften aus namhaften Firmen, darunter auch Vertriebsvorstände. Der Textteil endete immer mit einem Datum aus den letzten fünf Jahren. Fragend blickte Peter zu dem IT-Spezialisten hinüber, der sagte nur: »Lesen Sie die verdammte Datei!«
Peter hatte etwas überlesen. Am Anfang jeder Personenbeschreibung gab es einen Link, er klickte ihn an, auf dem Bildschirm erschien ein Ausschnitt der Übersichtsdatei, der den Preisnachlass des für eine bestimmte angefragte Leistung günstigsten Anbieters zeigte. Jetzt verstand Peter: Die Datei war der Trophäenraum des charmanten Einkaufsvorstands. Die Fotos waren keine Portraitaufnahmen, sondern aus Gruppenfotos herauskopiert, sie ließen ihn an aufgespießte Köpfe denken. Nachdem sie Großaufträge der Y AG zu den Bedingungen akzeptiert hatten, die der Einkaufsvorstand durchgesetzt hatte, waren die in der Datei aufgeführten Manager von ihren Firmen geschasst worden. Peter verglich das Exitdatum mit dem Datum der Auftragsvergabe, die Vermutung lag nahe, dass die Manager in dem Quartal gefeuert wurden, in dem der Auftrag nachkalkuliert und abschließend verbucht wurde. Ohne Kommentar warf der IT-Spezialist den Motor an und fuhr los.
Ein Preisnachlass von fünf Prozent in der Abschlussverhandlung für einen so großen Deal lag im Bereich des Möglichen und Üblichen. Es hätte genügt, wenn der Einkaufsvorstand oder seine Mitarbeiter mit der Wurst vor der Schnauze des Hundes gewedelt hätten. Warum war die Wurst mit einem Gift präpariert, das man von weitem riechen konnte? Das Schicksal des Auftrags für D’Wolf lag in Peters Händen. Es gab keine Möglichkeit für ihn, sich vor Beginn der Abschlussverhandlungen mit Sondra abzusprechen, und er konnte mir auch nicht direkt berichten, der Dicke hätte ihm einfach das Telefon aus der Hand genommen. Wieso hatte der Dicke, der ein Sklave war, Peter die Trophäenkammer seines Herrn gezeigt? Suchte ihn das schlechte Gewissen heim, wollte er Peter uneigennützig davor warnen, ins Verderben zu rennen, oder schauspielerte der Mann mit dem Pferdeschwanz? Der Einkaufsvorstand durfte doch nicht erwarten, dass sich das nächste Opfer freiwillig zu der Trophäenstrecke dazulegen würde. War er einfach ein Sadist?
Der Bekenner oder Darsteller geleitete Peter zu einer schmalen Tür in der schwarzen Wellblechverkleidung des alten Industriegebäudes. Hinter der Fassade waren alle Zwischendecken herausgerissen und auch der Boden entfernt, man durchquerte die Halle auf einem aufgeschütteten Erdwall. Aus einem unerfindlichen Grund wurde das Gebäude außen angestrahlt, die schmalen, hohen, oben abgerundeten Fenster wirkten wie von der Sonne beschienene Kirchenfenster. Das unmittelbar anschließende Gebäude war nicht entkernt, aber in dem Geschoss, durch das Peter geführt wurde, war an mehreren Stellen die Decke heruntergekommen, man musste Trümmerhaufen umwandern und sich vor Löchern im Boden in Acht nehmen. Mit einem unerhört lauten Lastenlift ging es in den Keller, der als Bunker ausgebaut war. Rötliche Kellerleuchten in drahtbewehrten verschmutzten Glasgehäusen gaben zu wenig Licht, um die Gänge mit den dunklen Mauern zu erhellen.
Der Einkaufsvorstand erwartete Peter in der Kommandozentrale des Bunkers, einem Kuppelraum mit einem umlaufenden Ring von uralten Leuchten auf halber Höhe, von denen zwei Drittel ausgefallen waren. Ein schwarzer Eisenrost schloss die Kuppel oben ab, man spürte einen Luftzug, sicher waren die Filter, die die Insassen des Bunkers hätten schützen sollen, längst aus den Luftschächten entfernt worden. Die Hälfte des Bodens war abgegraben, neben dem steilen Abhang spiegelte das Grundwasser die Deckenbeleuchtung. An
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