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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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eigenes und wofür ich alles andere vernachlässigt hatte? Meine Arbeit, meine Interessen, meine eigenen Kinder …
    Wiebke war niemand, dem ich mein Herz ausschütten konnte.
    Das Telefon klingelte, und ich zuckte zusammen. Wiebke ging hinter ihren Verkaufstresen und nahm ab. »Nöterich-Wieser-Apotheke? Ja, die sitzt hier.«
    Ich hielt die Luft an: Volker.
    »Nein. Wieso sollte ich … Das ist doch nicht mein Bier … Nein, ihr geht es gut.«
    Also, falls sie von mir redete, log sie wie gedruckt. Mir ging es NICHT GUT , und das konnte sogar ein Blinder sehen.
    Wiebke hielt mir fragend den Hörer hin, aber ich schüttelte nur mechanisch den Kopf. Ich konnte jetzt unmöglich mit Volker sprechen. Alleine die Tatsache, dass er Wiebke anrief, wenn er nach mir suchte, brach mir das Herz. Die beiden steckten noch viel tiefer unter einer Decke, als ich befürchtet hatte.
    »Sie ruft dich später an. Ich will jetzt hier schließen.« Wiebke knallte den Hörer auf und wirbelte zu mir herum.
    »Volker hat mir auch schon so einiges versichert.« Jetzt lachte sie wieder ihr hartes, verbittertes Lachen, in dem eindeutig Schadenfreude mitschwang.
    »Wenn ich da an Gerlinde denke …« Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippen.
    Mich interessierte keine Gerlinde. Von alten Kamellen wollte ich jetzt nichts hören. Nein, Wiebke war keine Freundin, und sie würde nie eine werden.
    »Ich an deiner Stelle würde Nathan den Putzeimer in die Hand drücken und ihn endlich erwachsen werden lassen«, sagte Wiebke, während sie den Schlüssel in die Tür steckte. »Die Art und Weise, wie du dich an die Kinder klammerst, ist nicht gesund. Was du mit deinen Töchtern machst, ist deine Sache, auch wie du deine Nachbarin vereinnahmt hast und ihr Kind mit dazu …«
    Ihre Augen hatten so einen merkwürdigen Glanz. Wusste sie etwa schon länger …?
    Ich zuckte zusammen. Sie war eingeweiht?! Es machte ihr Freude, mich so am Boden zu sehen!
    Wiebke knöpfte ihren Kittel auf. Ein unmissverständliches Zeichen für mich, zu gehen.
    »Wie auch immer. Meine Söhne sind erwachsen.« Sie warf den Kittel in die Ecke. »Sie leben auf Volkers Grund und Boden. Ihre sexuellen Neigungen sind ihre Privatsache – also warum hältst du dich da nicht einfach raus?« Wiebke öffnete die Apothekentür.
    Das Glöckchen schrillte mir zum Abschied in den Ohren. Woher ich die Kraft nahm, hoch erhobenen Hauptes an ihr vorbeizugehen, weiß ich nicht.

20
    Das Nieseln vor der riesigen Panoramascheibe hatte etwas Beruhigendes. Seit Stunden nieselte es. Oder waren es schon Tage?
    Die stumme, blasse, verstörte Frau mit den strähnigen Haaren, die im Bademantel im Liegestuhl des leeren Wellnessbereichs saß und vor sich hin starrte, war ich. Volker hatte mich belogen. Er steckte mit Wiebke unter einer Decke. Nathan war nicht der Vater von Fanny, sondern Volker. Lisa, meine beste Freundin, und Volker, mein geliebter Mann, hatten mich belogen und benutzt. Ich war komplett unfähig, irgendetwas zu unternehmen, etwas zu entscheiden. In mir war alles abgestorben.
    Ich befand mich im einsam gelegenen Berghotel Vollererhof oberhalb von Salzburg. »Zum Ausspannen und Abschalten«, wie es im Prospekt hieß. Ich war im Sommer öfter mit den Kindern hier gewesen, zu langen Wanderungen durch Wiesen, Wälder und Auen, von St. Jacob am Thurn bis zur Erentrudis- und Fageralm. Anschließend hatten wir auf der Sonnenterrasse ein entspanntes Abendessen eingenommen. Doch jetzt, im Februar, lag das Kurhotel in einer Art vernebelter Mondlandschaft. Win terreise , Schubert. Gefrorne Tropfen fallen von meinen Wangen ab: Ob es mir denn entgangen, dass ich geweinet hab?
    Alles in meinem Leben hatte aufgehört: die Freude. Die Liebe. Das Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen.
    Ich hatte Charlotte auf dem Handy angerufen, sobald ich wieder dazu in der Lage war: »Mir geht es nicht gut, Liebes. Ich bleibe ein paar Tage weg.«
    »Aber Mama, wie stellst du dir das vor? Du kannst doch nicht einfach abhauen!«
    »Doch. Es ist ein Notfall.«
    »Mama!! Hast du Krebs?«
    »Nein. Aber mein Herz ist todkrank. Ich brauche ein paar Tage für mich.«
    »Ist es wegen Nathan? Der sitzt in der Küche und will wissen, woran er jetzt schon wieder schuld ist. Soll ich ihn dir geben?«
    »Nein. Sag ihm, er ist an nichts schuld.«
    »Soll Papa dich anrufen?«
    »Nein.«
    »Aber Papa will dich unbedingt sprechen! Er muss dir was erklären!«
    »Später vielleicht.«
    »Aber wer soll sich um das Baby

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