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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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einfach nur zu. Ihre dunklen Augen blickten mich warm und teilnahmsvoll an. Zwischendurch holte sie uns einen tröstenden Kräutertee. Es tat unendlich gut, wieder ins Leben zurückzukehren, mich aus meiner Totenstarre zu lösen.
    Schließlich sagte Annette Sprengler überwältigt: »Das ist ja ein Ding!«
    Ich presste die Lippen zusammen und sah sie abwartend an. In diesem Moment erwartete ich von ihr, dass sie mein ganzes Lebensknäuel entwirrte, was natürlich heillos überzogen war.
    »Das ist ja wirklich ein irres Ding«, wiederholte mein seelischer Mülleimer. »Was wirst du jetzt machen?«
    Ich ließ den Kopf hängen. »Ich weiß nicht, Annette. Sag du es mir.«
    Sie schlürfte geräuschvoll ihren Tee und sagte dann: »Also wir Mädels aus der Fastengruppe haben für morgen eine Seherin bestellt.«
    »Eine Seherin.« Mechanisch drehte ich den Kopf und sah sie mit müden Augen an.
    »Nur so, weil uns fad ist.«
    Das war doch nicht ihr Ernst, oder? Sie konnte mir doch jetzt nicht mit so einem seichten Vorschlag daherkommen? Ich hätte ihr nichts erzählen sollen. Es hatte alles keinen Zweck.
    »Nur so zum Spaß«, beeilte sich Annette zu sagen und berührte meinen Arm. »Trotzdem, Barbara: Die hat’s voll drauf, die hat schon so oft ins Schwarze getroffen. Du wirst sehen, die sagt dir, wie es in deinem Leben weitergeht.«
    »Ich glaub an so was nicht.«
    »Weil du es noch nie probiert hast.«
    »Das ist reine Zeitverschwendung«, sagte ich mit leerem Blick.
    »Und was ist das hier?« Annette machte eine weit ausholende Geste. »Hier rumsitzen und durch die Glasscheibe starren? Worauf wartest du? Dass du die Zeit zurückdrehen kannst?«
    Ich zuckte wortlos mit den Schultern.
    »So probier es doch einfach!« Annette zupfte liebevoll an meinem Bademantelzipfel. »Du hast doch nichts zu verlieren!«
    Wo sie recht hatte, da hatte sie recht. Ich hatte wirklich nichts mehr zu verlieren. Weil ich schon alles verloren hatte.

21
    Die Seherin hieß Maria Dornwald und sah eigentlich ganz normal aus. Sie hatte weder eine Katze auf der Schulter sitzen noch eine Warze am Kinn. Die ältere, rundliche Frau mit den rötlichen Haaren und der Brille hätte gut eine von Volkers Patientinnen sein können. Nachdem die anderen Mädels aus der Fastengruppe, etwa sieben an der Zahl, alle bereits mit Maria durch ihren persönlichen Dornwald gegangen waren – in der Hoffnung, dass auch ihre Dornen eines Tages wieder Rosen tragen würden – und bei Fastentee und Dörrpflaumen eifrig ihre Zukunft diskutierten, gab mir meine neue Freundin Annette einen Schubs. »Los. Und jetzt du. Keine Angst, Barbara! Sie beißt nicht! Lass dich einfach auf sie ein!«
    Unsicher schlich ich auf Maria Dornwald zu, die mir sogleich lächelnd die Hand reichte und auf den Stuhl am Kamin wies. »Sie sind zurzeit schrecklich unglücklich.«
    Gut, das war schon mal richtig. Aber so schwer war das nun auch nicht zu erkennen, schließlich war ich ihr nicht gerade jubelnd um den Hals gefallen. Und wer eine Seherin konsultiert, ist per se unglücklich. Das ist so ähnlich wie beim Zahnarzt: Nur diejenigen, die wirklich Schmerzen haben, gehen aus freien Stücken hin.
    »Sie haben gerade eine fürchterliche Enttäuschung erlebt«, orakelte Maria Dornwald.
    Gut, schon wieder richtig. Aber jetzt bloß nicht losheulen! Verdammt, meine Mundwinkel zitterten schon wieder. Dabei hatte ich mich zum ersten Mal seit einer Woche heute wieder ein wenig zurechtgemacht. Diese Seherin sollte schließlich kein zu leichtes Spiel mit mir haben.
    Dann kam ihr dritter Standardspruch: »Jemand hat Ihre Liebe und Ihr Vertrauen entsetzlich missbraucht.«
    Oh. Auch das war richtig. Ob Annette ihr bereits alles verraten hatte?
    »Das hat mir niemand gesagt, das sehe ich Ihnen an«, las die Seherin meine Gedanken. »Sie sind geradezu sträflich vertrauensselig gewesen und haben sich vollkommen ausnutzen lassen. Sie haben unendlich viel Liebe in sich, die Sie manchmal den falschen Leuten schenken.« Frau Dornwald sah mir tief in die Augen und sagte dann: »Sie verschenken sie nicht nur, sondern drängen sie anderen regelrecht auf. Das wissen Sie, oder?«
    Nein. Mir verschlug es die Sprache.
    Ich? Jemandem meine Liebe aufdrängen? Nicht doch. Ich schluckte. Gut, das war zwar jetzt wirklich alles zutreffend, aber das war ZUFALL . Auf JEDE unglückliche Frau mittleren Alters passten die von ihr gedroschenen Phrasen. Nicht umsonst gibt es ein Buch mit dem Titel »Warum Frauen zu viel lieben und

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